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Heute morgen und fuer immer - Roman

Heute morgen und fuer immer - Roman

Titel: Heute morgen und fuer immer - Roman
Autoren: Anke Greifeneder
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konnte. Mit ihm wurde es keine Sekunde langweilig. Seine schrägen Einfälle ließen mich den manchmal fordernden Alltag vergessen, mit ihm fühlte ich mich wieder wie zu besten Pubertätszeiten, denn mit Mitte dreißig war Jasper alles, nur nicht erwachsen - und das schien ansteckend ... Sensibel war er dazu, was sich nicht nur in seinen Küssen und Liebhaberqualitäten herausgestellt hatte, sondern in der Art und Weise, wie er Stimmungen und Spannungen in einem Raum augenblicklich orten konnte. Jasper tat mir einfach gut, mein Magen, der sich nach knapp drei Monaten immer noch flau anfühlte, wenn ich an ihn dachte, stand kurz vor einem Übersäuerungsalarm bei dem bloßen Gedanken, dass er heute im Publikum sitzen und meine verunglückten Augenbrauen sehen würde, die ausschauten, als ob mich eine Zeitschrift versucht hätte zu anonymisieren. Zumindest wirkten die Balken so, wie man sie sonst auf Fotos von Menschen in Zeitschriften sieht, die dringend geschützt werden mussten, nur dass die Balken bei mir nicht die Augen bedeckten, sondern die Brauen! Zum Glück hatte Jasper Humor. Als Künstler konnte er vielleicht meinem unfreiwilligen Experiment etwas abgewinnen. Helene, meine großartige Schwester, steckte den Kopf zur Tür herein und unterbrach meine Gedanken. »Komm raus, wir haben was für dein Problem gefunden!«
    Wie gut, dass sie als Krankenschwester wusste, wie man Menschen auch ohne Betablocker beruhigte.
    »Noch zehn Minuten bis zur Aufführung ...«, dröhnte es aus dem Lautsprecher in meiner Garderobe. In Gedanken ging ich die Partitur durch, machte Finger- und Atemübungen. Schrittweise versuchte ich, mich in diesen konzentrierten tranceähnlichen Zustand zu bringen, in dem ich nur noch aus Tunnelblick bestand und nichts anderes mehr wahrnahm. Langsam schritt ich, begleitet von Sofia, die meine Noten umblättern würde - sehr schwere Stücke spielte ich immer mit Noten -, aus meiner Garderobe den langen Flur des Prinzregententheaters entlang und nahm die anderen Personen und vielen Lichter um mich herum kaum noch wahr.
    »Wie siehst du denn aus? Trägst du jetzt Pelz statt Augenbrauen?«
    Eine allzu bekannte Stimme drang an mein Ohr, die niemand anderem als Amelie Fischer gehörte! Amelie! Meine Konkurrentin und Erzfeindin seit Kindertagen holte mich zurück ins Hier und Jetzt. Sie, die blonde, engelsgleiche Tochter aus reichem Hause mit ihrer krankhaft ehrgeizigen Mutter, die sie zu jedem Unterricht, jedem Auftritt begleitete und ihr die besten Lehrer engagiert und die außergewöhnlichsten Kurse ermöglicht hatte! Und ich, das arme rothaarige Aschenputtel, das mit seinem Talent innerhalb der Familie völlig aus der Reihe getanzt und von Stipendien und Begabtenförderung abhängig gewesen war. Während Amelie im schicken Auto zu Veranstaltungen gefahren wurde, kam ich auf dem Rad angehechelt, nahm die S-Bahn oder eine Mitfahrgelegenheit. Während sie bereits mit zwölf Jahren in Haute-Couture-Roben aufgetreten war, hatte ich im selbst genähten Kleid von Omi danebengestanden. Wenn wir in einer anderen Stadt spielen mussten, schlief sie mit Mami im Hotel, ich mit Helene oder Omi in der Jugendherberge oder bei Freunden.
    »Das trägt man diese Saison!«, antwortete ich schnippisch und drückte mein Amulett mit dem Bild meiner Eltern fest an mich. Amelie kannte es zu gut.
    »Hast du immer noch diesen Talisman? Ich dachte, aus dem Alter sind wir längst raus ...«
    Sie vielleicht, ich würde es nie sein, denn die Tatsache, dass es Helene und meine Omi waren, die mich begleiteten, war dem schlimmsten Ereignis meines Lebens zu verdanken, dem 18. Juni vor neunzehn Jahren, dem Tag, an dem meine Eltern bei einem Busunglück ums Leben kamen, als sie mit einer Wandergruppe in die Berge unterwegs waren. Gerade mal elf war ich, als der Unfall passierte, ohne meine Omi und Helene hätte ich ihren plötzlichen Tod nie verkraftet. In meiner Erinnerung war die Zeit nach dem Unfall die einzige Phase, in der Amelie nett zu mir war. Naiv hatte ich geglaubt, ihre Zuneigung sei ehrlich gemeint, und mich gefreut, endlich eine Freundin zu haben, mit der ich alles teilen konnte und die den gleichen Weg wie ich ging. Sogar bei ihr zu Hause übernachten durfte ich einige Male, und ihre vom Ehrgeiz getriebene Mutter, die mich sonst ignorierte, tätschelte mir gut gemeint und seufzend den Kopf. Irgendwann aber wurde Amelie die Gute-Tat-Nummer langweilig, und als sie merkte, dass viele Menschen, insbesondere auch die Lehrer,
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