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Heute morgen und fuer immer - Roman

Heute morgen und fuer immer - Roman

Titel: Heute morgen und fuer immer - Roman
Autoren: Anke Greifeneder
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sehr behutsam und liebevoll in dieser schweren Zeit mit mir umgingen, und sie dadurch glaubte, weniger im Mittelpunkt zu stehen, war schnell wieder alles beim Alten.
    »Amelie, mein Kind, wie siehst du aus! Du musst dringend in die Maske, und zieh das schwarze Kleid an, in diesem hellen siehst du mit deinen blonden Haaren aus wie Mürbeteig!«
    Amelies Mutter, stets elegant gekleidet und makellos frisiert, war zu meiner Erleichterung so sehr mit ihrem Töchterchen beschäftigt, dass sie mich gar nicht wahrzunehmen schien.
    »Sind wir aus dem Alter nicht raus, wo uns die Mütter die Kleidung aussuchen?«, stichelte ich gar nicht nett und brachte Amelie damit aus dem Konzept.
    Nach meiner kurzen Freundschaft zu Amelie war ich allein mit meiner Begabung und Liebe zur Musik und übte seitdem ohne Amelie und ohne Eltern. Sosehr Helene und Omi versuchten, meinen Schmerz zu lindern, es gab einfach keinen Ersatz für das fröhliche Lachen meiner Mutter und die ruhige Besonnenheit meines Vaters. Seit jener Zeit war meine Sehnsucht nach einer großen, intakten Familie sehr ausgeprägt, und wann immer ich eine solche Familie kennenlernte, verspürte ich einen Stich in der Herzgegend.
    »Clara, komm, wir müssen weiter!«
    Sofia drängte mich behutsam weiter Richtung Bühne, was ich geschehen ließ. Im Gehen drehte ich mich nach Amelie um und zeigte ihr deutlich, was ich von ihr hielt. Mit dem ausgestreckten Mittelfinger kratzte ich mich gar nicht ladylike unterm Auge - ja, wir kamen einfach aus unterschiedlichen Ställen! Und wenn mein Temperament mit mir durchging, dann legte ich keinen großen Wert mehr auf Etikette.
    Mit dem Blick nach vorn war ich augenblicklich wieder konzentriert und schritt im nächsten Moment und unter großem Applaus an den Flügel, setzte mich auf meinen Schemel, Sofia sich auf ihren. Ein kurzer Blick zum Dirigenten, der mir zunickte, wir sahen uns in die Augen, ich atmete ein, er hob den Taktstock, und los ging es mit einer Fontäne aus perlenden Tönen, mal leise, mal lauter, mal im Alleingang, mal mit Orchesterbegleitung. Die Musik war mein Element, meine Berufung, meine Gabe. Das geschah wie von selbst; sobald ich spielte, war jedes Lampenfieber vergessen, jeder Zweifel, weshalb ich mir all die Reisen, Entbehrungen und stundenlangen Übungen antat, ausgeräumt.
    Einfach nur glücklich und tief versunken fühlte ich mich, selbst meine aufgeklebten Augenbrauen, die man von weiter weg nicht erkennen konnte, waren mir gleichgültig. Im Spielen vergaß ich alles um mich herum und war nur Musik.
    Der letzte Ton verhallte. Einen Moment lang herrschte Stille, dann brauste Applaus auf. Aus den Augenwinkeln, den Kopf noch nach unten geneigt, sah ich die entspannten, befreiten Gesichter des Dirigenten und der Musiker. Gelöst stand ich auf und verneigte mich. Jasper blinzelte mir aus der ersten Reihe zu, was mich kurz aus der Bahn warf. Helene und Omi weinten wie immer, wenn ich spielte, »weil das sooo schön ist und zu Herzen geht!«, auch wenn Helene eher auf Rock stand und Omi auf Chansons. Maxi sah peinlich berührt aus, wohl weil es in seinem Alter uncool war, ins klassische Konzert zu gehen, und ich freute mich schon darauf, was erst passierte, wenn er richtig pubertierte. Den obligatorischen Blumenstrauß gab ich nie der ersten Geigerin, wenn ich in München spielte, sondern meiner bezaubernden, verrückten Omi, die dann errötete und gekonnt mit dem entzückten Publikum flirtete. Todschick im Übrigen für ihre vierundsiebzig Jahre. Bevor der zweite Vorhang fiel, kam Amelie, die nach mir auftreten sollte, auf die Bühne und versuchte, mit ihrem frühzeitigen Erscheinen den Beifall zu beenden. Leider hatte sie nicht mit Helene und Omi gerechnet, die in mir immer noch das elfjährige Mädchen sahen, das es zu beschützen galt, und Amelie so ziemlich alles, was ansteckend war, an den Hals wünschten. Die beiden begannen, lauthals mit den Füßen zu trampeln, riefen dabei laut »Bravo« und »Zugabe« und nötigten auch den armen Max, der bis eben sicher noch gedacht hatte, peinlicher könne es nicht werden, alles zu geben. Jasper, wie immer leicht zu begeistern, machte liebend gern mit. Der Saal tobte, und Amelie stand wie Falschgeld hinter mir, bis der Saal meinen Auftritt gebührend gefeiert hatte.
    Gezwungenermaßen lächelte Amelie mir zuckersüß zu. Beim Abgang hob ich betont meine aufgeklebten Augenbrauen mehrmals deutlich in die Höhe, was bestimmt schräg aussah. Ja, wer zuletzt lacht
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