Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heute bin ich blond

Heute bin ich blond

Titel: Heute bin ich blond
Autoren: Sophie van der Stap
Vom Netzwerk:
ab.«
    »Ah.«
    »Wenn gelber Eiter rauskommt, dann ist das nicht gut«, fuhr sie fort. »Dann sitzt da eine Entzündung.«
    »Ah.«
    Sie war eifrig mit der Dosierung des Betäubungsmittels zugange, aber leider nicht eifrig genug, denn ich spürte noch, wie mir die Nadel durch den Rücken ins Lungenfell stach. Au! Sofort war Doktor K. mit einem Wundermittel zur Stelle und nahm die Sache selbst in die Hand. Durch einen langen, durchsichtigen Schlauch sickerte die Flüssigkeit aus meinem Rücken heraus. Sie war zwar nicht gelb, aber, wie sich später herausstellte, auch nicht in Ordnung.
    Wieder in der Ambulanz, wollte Doktor K. meine Handynummer haben. Aber gern.
    Schon am nächsten Abend rief er an. »Ich kann mir keinen rechten Reim auf die Sache machen. Ich würde dich gern eine Woche stationär aufnehmen, dann können wir verschiedene Untersuchungen durchführen. Mit einer Endoskopie fangen wir an.«
    »Einer Endowas?«
    »Wir setzen seitlich an deinem Rücken einen zwei Zentimeter langen Schnitt und gehen da mit einer kleinen Kamera rein. Etwas Gewebe holen wir dabei auch gleich raus.«
    »Oh … Na, wenn’s unbedingt sein muss …« Trotzig legte ich auf, doch da kamen auch schon die ersten Tränen wegen des neuen Abenteuers, in das ich da hineingezogen wurde. Ich zitterte, und zum ersten Mal hatte ich Angst. Angst, mein Körper könnte ein Eigenleben führen.
    »Der Arzt will mich einfach in seiner Nähe haben«, scherzte ich, als ich es meinen Eltern sagte, und wischte mir die Tränen ab. Aber dann lag ich da, in meinem weißen Zimmer, in meinem weißen Bett und meinem weißen Pyjama, zwischen den weißen Schwestern. Ein Schlauch in meiner Nase, eine Luftlunge von der Endoskopie und ein Tropf über mir – eine ganze Menge, aber alles andere als schön. Spannend, gut betreut, ruhig, traurig. Endlich den Wälzer ausgelesen. Doktor K. – der in meiner Phantasie inzwischen eine große Rolle spielte – kam jeden Tag und erkundigte sich, wie es mir und Anna Karenina ging. Mir besser als ihr, dachte ich da noch.
    Eine Woche später saß ich mit meinem Vater in einem Raum der inzwischen vertrauten Ambulanz, uns gegenüber ein fremder, grober Klotz. Doktor K. sei eine Woche weg, auf einem Kongress. Es war an einem Mittwoch, am 26. Januar 2005. Zu Hause stand schon der Champagner kalt. Wir rechneten mit einer Infektion, schlimmstenfalls irgendeinem komischen Pilz, den ich mir auf meinen Reisen durch Indien und den Iran eingefangen hatte. Ein seltenes Sarkom – ein bösartiger Tumor – war zwar nicht auszuschließen, aber auch nicht zu erwarten, wie ich später erfuhr. Schon gar nicht in meinen Plänen. Damals fand ich es noch spannend, wenn ein neuer Arzt auf der Bildfläche erschien.
    »Wir haben jetzt die Laborbefunde, und die sind nicht gut. Du hast Krebs.« Der ruppige Kollege meines geliebten Arztes saß mit verschränkten Armen auf Doktor K.s Schreibtisch.
    Und da saß ich, mit offenem Mund.
    Da lag ich, schluchzend auf dem Boden.
    Da kroch ich, vor Schreck unter den Schreibtisch.
    Es war vollkommen irreal. Zugleich aber nur zu real. Mein Vater schaute starr vor sich hin und versuchte, die Tränen zurückzuhalten, mir zuliebe. Ich weiß noch, dass ich ihn ansah und dachte: Gerade haben sie Mamas Chemo hinter sich. Sie haben so viel durchgemacht. Und jetzt sitze ich hier.
    Ein paar Monate zuvor hatte meine Mutter ihre letzte Chemotherapie gehabt, genau einen Flur und eine Treppe von dem Raum entfernt, in dem es nun mich mit voller Wucht traf. Aber sie ist wieder auf dem Damm, und ihre beiden Brüste sind noch dran.
    Schließlich stand ich auf, versteckte mich in meinem dicken Wintermantel und wollte nur noch weg. Den Wintermantel trug ich, weil es im Januar kalt ist. Kalt im Onze Lieve Vrouwe Gasthuis. Kalt auf dem Weg von der Lungenheilkunde zur Onkologie. Nach neunhundertneunundneunzig Tränen zog ich mich in die Wärme des Mantels zurück und machte mich ungläubig auf den Weg. Und es wurde immer noch kälter. Ich musste flüchten, hätte die vergangenen paar Minuten meines Lebens am liebsten zurückgedreht. Niemand hatte diesen Alptraum mit mir und meinem Vater miterlebt. Es gab ihn noch nicht im Leben der Menschen um uns herum. Vielleicht war das Ganze deshalb so surrealistisch, aber gleichzeitig auch so schmerzhaft und einsam. Der Arzt fragte, wo ich hinwolle. Keine Ahnung. Ich wusste nur eins: Ich musste weg. Zurück in mein altes Leben.
    In der Woche darauf sollte ich wieder zur Uni. An diesem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher