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Herzstoss

Herzstoss

Titel: Herzstoss
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Haupteinkaufszentrum der Stadt. Marcy starrte auf die Fassade und dachte, dass sie wahrscheinlich hineingehen sollte, und sei es nur, um dem Regen zu entkommen, doch sie war außerstande, sich vom Fleck zu rühren. War Devon dort? Schlenderte sie durch die verschiedenen Geschäfte, bis der Regenguss aufhörte? Suchte sie bei Marks & Spencer nach sexy Unterwäsche oder bei Laura Ashley nach einer altmodischen Bluse mit Paisley-Muster? Unschlüssig, was sie tun sollte, entschied Marcy draußenzubleiben. Große Einkaufszentren machten sie selbst an guten Tagen nervös.
    Und heute war definitiv kein guter Tag.
    Stattdessen lief sie weiter die St. Patrick’s Street hinunter, spähte hektisch hierhin und dorthin, versuchte, zwischen den Regentropfen die zarten Züge ihrer Tochter im Gesicht jeder jungen Frau zu erkennen, die an ihr vorbeihastete. Als sie zur Paul’s Lane kam, hörte sie den Führer einer Gruppe nasser und unruhiger Touristen erklären, dass hier bis vor Kurzem wundervolle Antiquitätenläden gewesen seien. Mittlerweile hätten jedoch alle dichtgemacht, weil die Mieten in die Höhe geschossen waren und die jungen Leute sich für nichts interessierten, was älter war als sie selbst. In der heutigen Welt, fügte er unter seinem hellgrünen Regenschirm mit einem missbilligenden Schnalzen hinzu, zähle nur noch das Neue.
    Die St. Patrick’s Street beschrieb eine sanfte Kurve wie ein schüchternes Lächeln und endete auf der Grand Parade, einer breiten Durchgangsstraße, in der sich Geschäfte und Büros mit malerischen Häusern aus dem 18. Jahrhundert und Resten der alten Stadtmauer mischten. Marcy ging in südlicher Richtung weiter und ließ ihre Blicke über die leeren Bänke im Bishop Lucey Park schweifen. Sie erreichte die South Mall, das Bankenzentrum von Cork, eine breite Allee mit Häusern im georgianischen Stil, die Banken, Anwaltskanzleien und Versicherungsgesellschaften beherbergten. Hier war Devon bestimmt nicht, dachte Marcy. Mit Institutionen jedweder Art hatte sie immer ihre Probleme gehabt. Mit Geld noch viel mehr.
    Schaudernd erinnerte Marcy sich daran, wie sie Devon einmal ausgeschimpft hatte, weil sie vierzig Dollar aus ihrem Portemonnaie genommen hatte. Sie hatte wegen der im Grunde lächerlichen Summe einen Riesenaufstand gemacht, ja, so wie sie sich aufgeführt hatte, hätte man meinen können, Devon hätte die Kronjuwelen gestohlen, Herrgott noch mal.
    »Ich hab es mir nur geliehen«, hatte Devon störrisch behauptet. »Ich wollte es zurückzahlen.«
    »Darum geht es nicht«, hatte Marcy erwidert. »Das ist es nicht. Es ist eine Frage des Vertrauens.«
    »Willst du damit sagen, dass du mir nicht vertraust?«
    »Ich will sagen, dass ich es nicht mag, wenn du etwas nimmst, ohne vorher zu fragen.«
    »Ich habe es bloß geliehen.«
    »Ohne zu fragen.«
    »Es tut mir leid. Ich dachte nicht, dass es eine so große Sache ist.«
    »Nun, es ist aber eine große Sache.«
    »Ich hab mich entschuldigt, oder nicht? Gott, was hast du für ein Problem?«
    Was hatte sie für ein Problem, fragte Marcy sich jetzt, die Wimpern so schwer vom Regen – oder waren das Tränen? –, dass sie kaum den Gehsteig vor sich erkennen konnte. Warum hatte sie eine solche Bagatelle zu einem Riesenproblem aufgeblasen? Stahlen nicht alle halbwüchsigen Mädchen hin und wieder Geld aus dem Portemonnaie ihrer Mütter? Und auch wenn Devon damals schon fast einundzwanzig gewesen war, war sie trotzdem noch ein Kind, das zu Hause unter dem Schutz ihrer Mutter lebte.
    Der Schutz ihrer Mutter, höhnte Marcy stumm. Hatte Devon sich im Haus ihrer Mutter je beschützt gefühlt?
    Und Marcy sich im Haus ihrer Mutter?
    Alles, was geschehen ist, war meine Schuld, dachte Marcy, rutschte im selben Moment auf dem nassen Pflaster aus und fiel zu Boden wie ein zusammengeknülltes und weggeworfenes Stück Papier. Sofort sickerte die Nässe von dem Bürgersteig durch ihren Trenchcoat und ihre blaue Hose, doch Marcy machte keine Anstalten aufzustehen. Geschieht mir recht, dachte sie und erinnerte sich an den schrecklichen Nachmittag, als die Polizei vor ihrer Tür gestanden hatte, um ihr zu sagen, dass Devon tot war.
    Aber sie war nicht tot.
    Sie war hier.
    Direkt hier, erkannte Marcy erschrocken und wandte den Kopf hastig zu einer jungen Frau, die aus einem zweistöckigen grauen Backsteingebäude auf der anderen Straßenseite kam. Nicht nur, dass Devon noch lebte, sie war hier in Cork. Sie stand direkt vor ihr.
    Marcy rappelte sich auf die
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