Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzstoss

Herzstoss

Titel: Herzstoss
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
dem erhobenen Finger der Kellnerin zu den Toiletten an der Rückseite des schwach beleuchteten Raumes. »Ich nehm ein Guinness«, hörte sie Jax sagen.
    »Meinen Sie, es ist gut, auch noch Alkohol zu trinken?«, fragte Marcy, als sie wieder im Wagen saßen und sie die offene Bierflasche zwischen Jax’ kräftigen Schenkeln sah. »Ich hätte gedacht, Fahren ist auch so schon schwierig genug …«
    »Nicht nachdenken.«
    Nicht zu viel nachdenken , hörte sie Sarah sagen. Einfach locker aus der Hüfte schwingen .
    »Ich meinte ja bloß …«
    »Es interessiert mich nicht, was Sie gemeint haben.« Demonstrativ nahm er ein, zwei große Züge aus der Flasche. »Oh-hm. Entschuldigen Sie meine Manieren«, sagte er und schwenkte die Flasche vor ihrer Nase. »Wollen Sie auch einen Schluck. Nur nicht schüchtern.«
    Marcy wandte den Kopf ab, und ihr Magen rumorte, als ihr der Biergeruch in die Nase stieg. »Wie lange noch?«, fragte sie ein paar Minuten später. Sie hatte das Gefühl, als würden sie schon ewig fahren.
    »Nicht mehr lange.« Er bog in eine schmale Nebenstraße, warf die leere Bierflasche in das hohe Gras und fuhr vorsichtig eine steile Klippe hinauf. »Schade, dass es draußen so feucht und ungemütlich ist. So können Sie die Aussicht gar nicht genießen. Auf der Kuppe ist sie ziemlich spektakulär.«
    Trotz Wind und Regen hörte Marcy die Keltische See gegen die Felsen in der Tiefe donnern. Wohin zum Teufel brachte er sie? »Wo sind wir?«, fragte sie.
    Zu ihrer Überraschung antwortete er: »Roaringwater Bay. Guter Name, was?«
    Was machte Devon an einem Ort namens Roaringwater Bay?
    Sie war nicht hier, begriff Marcy mit einer Gewissheit, die ihr beinahe den Atem raubte. Der Junge hatte nie die Absicht gehabt, sie zu ihrer Tochter zu fahren. Höchstwahrscheinlich brachte er sie möglichst weit von ihr fort. Auf Devons Anweisung? War diese ganze ausgeklügelte Scharade ihre Idee gewesen? Alles, was in den letzten Tagen geschehen war? Hasste ihre Tochter sie so sehr, fragte Marcy sich.
    Du sollst wissen, wie sehr ich dich liebe, dich immer geliebt habe und immer lieben werde.
    »Hat sie je von mir gesprochen?«, fragte Marcy, die Worte schon über ihre Lippen, ehe sie sich dessen bewusst war.
    »Audrey?«, fragte Jax, als ob Marcy auch jemand anderen gemeint haben könnte.
    »Ihr Name ist Devon«, verbesserte Marcy ihn.
    »Für mich ist sie Audrey.«
    »Hat sie über die Zeit gesprochen … als sie noch Devon war?«, fragte Marcy zögerlich.
    »Nee.« Der Junge zuckte die Achseln. »Sie hat gesagt, da gäb es nicht viel zu erzählen.«
    »Hat sie niemals ihren Bruder erwähnt?«
    »Wusste gar nicht, dass sie einen hat.«
    »Oder ihren Vater oder ihre Tante?«
    »Die, die sechsmal verheiratet war?«
    »Fünf«, korrigierte Marcy abwesend und verspürte einen Stich der Eifersucht.
    »Sie hat gesagt, ihre Oma hätte sich das Leben genommen.«
    »Meine Mutter.«
    »Wissen Sie, was mit meiner Ma passiert ist?«, fragte Jax beinahe stolz.
    Marcy schüttelte den Kopf.
    »Mein Dad hat sie umgebracht.«
    »Was?«
    »Ich schwöre, das ist die Wahrheit. Er kam eines Abends besoffen nach Hause«, stellte Jax so beiläufig fest, als würde er über das unfreundliche Wetter sprechen. »Und meine Ma hat angefangen ihn zu beschimpfen und beschuldigt, er hätte das Geld gestohlen, das sie versteckt hatte, Geld, das sie als Putzfrau verdient hatte, und die beiden gerieten in einen wilden Streit, wie wir acht Kinder ihn noch nie erlebt hatten, und sie hat gezetert und ihm mächtig zugesetzt, und er hat angefangen, sie rumzuschubsen, was normal war, wenn er betrunken war, und das war er praktisch immer, außer dass er diesmal plötzlich ein großes Schlachtermesser in der Hand hatte, und im nächsten Moment lag meine Ma tot auf dem Boden, den Hals von einem zum anderen Ohr aufgeschlitzt, und das Blut sprudelte, als wäre er auf Öl gestoßen oder so.«
    »Gütiger Gott.«
    »Ja, nun, der war an dem Abend bestimmt nirgendwo in der Nähe. Obwohl es im Haus von Gardai nur so wimmelte. Sie waren überall und sind in dem Blut ausgerutscht. Das hätten Sie mal sehen soll. Einer ist ausgerutscht, gegen eine Wand gekracht und hätte sich fast das Bein gebrochen. Es war ziemlich witzig, kann ich Ihnen sagen.« Er lachte. »Ein paar Monate später gab es einen Prozess, mein Dad wanderte in den Knast, und wir Kinder wurden auf Pflegefamilien verteilt. Ein beschissenes Durcheinander.«
    »Wie furchtbar für Sie. Das tut mir sehr leid.«
    Jax
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher