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Herzflimmern

Herzflimmern

Titel: Herzflimmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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den Schreibtisch und daneben ein Foto ihrer Eltern; die Kleider wurden rechts im Schrank aufgehängt, Röcke und Blusen links, die Schuhe wurden darunter aufgereiht. Sie breitete die Decken aus, die die Vermieterin ihnen geliehen hatte, bis sie sich eigene besorgen konnten, schüttelte das Kopfkissen auf und trat zurück, um ihr Werk zu betrachten.
    Der erste Schritt, dachte sie befriedigt. Der erste Schritt auf der letzten Etappe …
    Ehe sie wieder zu Ruth und Mickey hinausging, trat sie ans Fenster. Das Meer konnte sie, wie Ruth sie schon vorher gewarnt hatte, von hier aus nicht sehen, aber es war ganz in der Nähe, gleich hinter den Palmen und den Dächern der Häuser. Sie spürte seinen Pulsschlag und den Hauch seines Atems. Wenn sie die Augen schloß und konzentriert lauschte, konnte sie die Brandung hören, den Schlag der Wellen, der so viel verhieß – die weite, lockende Welt auf seiner anderen Seite. Eines Tages würde sie – Sondra – in diese Welt hinausziehen, daran gab es für sie nicht den geringsten Zweifel. Unrecht mußte wiedergutgemacht werden, eine Schuld an den Menschen, von denen sie abstammte, mußte beglichen werden. Es galt für sie, ihre Identität zu finden, ihren Platz in der Welt, darum mußte sie zu der dunklen Rasse zurückkehren, wie fern sie auch sein mochte, der sie verwandt war. Sondra Mallone fühlte sich am Beginn eines abenteuerlichen, unwiderstehlich lockenden Wegs, und dieses Gefühl erfüllte sie mit der gleichen Erregung wie am Dienstag morgen die Deklamation des hippokratischen Eides.
    In der Küche deckte Ruth den Tisch. Sie hatte zwei Kerzen angezündet und arbeitete allein. Mickey war noch im Badezimmer.
    Ruth wunderte sich, daß ihre Hände so ruhig waren; innerlich zitterte sie. Sie hatte sich durchgesetzt und den kühnen Schritt gewagt. Trotz meines Vaters, dachte sie. Ich werde nicht versagen. Und wenn es mich umbringt, ich werde bis zum Ende durchhalten, und ich werde als Beste meines Jahrgangs abschließen.
    Mike Shapiro, einer der bekanntesten und meistbeschäftigsten Allgemeinärzte in Seattle, war tief enttäuscht gewesen, als seine Frau damals, {26} vor dreiundzwanzig Jahren, all seinen Wünschen und Plänen entgegen ein Mädchen zur Welt gebracht hatte. Doch schon elf Monate danach war Joshua gekommen, und alles war verziehen. Dann war Max geboren worden und nach ihm David. Das letzte Kind, das Nesthäkchen, war wiederum ein Mädchen gewesen. Als existierte die Erstgeborene gar nicht, als hätte Mike Shapiro sich seine ganze Liebe für dieses letztgeborene Kind aufgehoben, gab er der kleinen Judith all seine Wärme und Zuneigung, hob sie auf den Platz der Prinzessin, der, wie Ruth meinte, eigentlich ihr zugestanden hätte.
    In gewisser Weise konnte sie es ihm nicht einmal verübeln. Sie war ein dickliches, tolpatschiges Kind gewesen, das immer irgend etwas umstieß und ständig mit bekleckertem Kleidchen umherlief. Heute, als Erwachsene, konkurrierte sie mit ihren Brüdern; Joshua war in West Point; Max studierte an der Northwestern University und bereitete sich darauf vor, in die Praxis seines Vaters einzutreten; David wollte Rechtsanwalt werden.
    »Das schaffst du doch nicht, Ruthie«, hatte Mike Shapiro erklärt, als sie die Bewerbungen für das Medizinstudium ausgefüllt hatte. »Warum nimmst du dich nicht als das an, was du bist? Such dir einen netten Mann. Heirate. Setz Kinder in die Welt.«
    Doch das, was Ruth vorwärtstrieb, war die Tatsache, daß sie in Wirklichkeit niemals versagt hatte. Sie mochte in ihrer Kindheit und Pubertät vielleicht manchmal auf das Niveau unverzeihlicher Mittelmäßigkeit abgesunken sein, aber gescheitert war sie nie. Sie war nur einfach kein begabtes Kind. Es war nicht ihre Schuld, daß an dem einzigen Wettkampf, in dem sie sich je placiert hatte, wegen des Regens nur drei Konkurrentinnen teilgenommen hatten, so daß sie ihren Preis auch bekommen hätte, wenn sie mit halbstündiger Verspätung eingelaufen wäre. Ein Gutes hatte jenes Debakel immerhin gehabt: Für kurze Zeit hatte Ruth die Süße väterlicher Bewunderung kosten dürfen. Und einmal auf den Geschmack gekommen, wollte sie mehr.
    Diesmal, dachte sie, während sie die Kräcker auf einen Pappteller legte, laufe ich nicht als Dritte ein. Diesmal werde ich Erste. Die erste von neunzig.
    Mickey blieb lange im Badezimmer. Sie tat nichts, sondern stand nur da und starrte auf das Gesicht der Frau im Spiegel.
    Bei ihrer Geburt war das Muttermal stecknadelkopfgroß

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