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Herzensjunge

Titel: Herzensjunge
Autoren: Carmen Korn
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meinem Bett und gucke auf das neue Poster. »Love kills slowly«.
    »Ich gehe mal bei ihm vorbei«, sagt Andreas.
    »Jetzt noch? Dann meckert sogar Mama«, sage ich.
    »Bei der habe ich immer noch was gut«, sagt mein großer Bruder.
    Nicht nur Eltern arbeiten mit dem Druckmittel der Erpressung. Andreas hat das Geheimnis des Schnitzels im Niewöhner noch nicht verraten. Heute Abend hat sich Mama mit Apfelpfannkuchen aus der Affäre gezogen. Die sind lustvoll und gehen auch bei Papa durch. Ihm ist nur wichtig, dass sie mit braunem Zucker und nicht mit weißem bestreut sind. Doch ich habe nur einen gegessen. Hatte keinen Hunger.
    Andreas hat schon die Daunenjacke an, als er zu mir ins Zimmer kommt. »Ist gebongt«, sagt er, »ich habe ihr gesagt, dass ich mir Sorgen um Jan mache und mal kurz zu ihm gehe.«

    »Jan soll mich anrufen«, sage ich, »egal wie spät. Ich nehme das Telefon mit unter die Bettdecke.«
    Am liebsten würde ich mit Andreas gehen. Doch dann gäbe es einen Aufstand. Man muss hier alles in kleinen Portionen verabreichen. Auch die Forderung nach Freiräumen. Mama scheint genauso zu arbeiten und schafft sich eben ihre kleinen Fluchten.
    Sie muss Papa wirklich sehr lieben, um diesen Heckmeck mitzumachen.

82
    Ich wache mitten in der Nacht auf und greife nach dem Telefon. Hat es geklingelt? Nein. Das habe ich nur geträumt.
    Andreas kam gestern Abend zurück mit der Nachricht, dass bei Jan niemand öffne und die Fenster alle dunkel seien.
    »Kein Schwein da«, hat er gesagt, »ich habe den Finger gar nicht mehr vom Klingelknopf genommen. Da hätten Tote auferstehen müssen.«
    Was ist geschehen mit Jan? Ich schwanke zwischen Zorn, Angst und Entsetzen. Er kann sich doch denken, dass ich mir Sorgen mache!
    Ich habe dauernd dieses leere Kanu auf dem Foto in Mamas Geschichte vor Augen. Die Mütze auf dem Boden. Keine Ahnung, warum ich an dieses Bild denke. Jens Torge wird mit Jan wohl kaum aufs Meer gepaddelt sein.
    Was soll ich nur machen? Ich liege im Dunkeln und kaue auf meinen Lippen. Vielleicht sollte ich morgen die Schule schwänzen. Jan scheint das ja auch vorzuhaben. Dann könnte ich mich auf seine Spur setzen. Dass die nach Husum führt, ist klar, doch führt sie auch wieder zurück?
    Ich nehme mir vor, nach Husum zu fahren, wenn er am Morgen noch nicht wieder da ist. Soll ich Oma einweihen? Besser nicht - damit würde ich sie doch nur belasten und so kräftig scheint sie mir noch nicht wieder zu sein.
    Ob er nicht doch längst zu Hause ist und ich mache mich hier umsonst verrückt?
    Die Leuchtziffern der Uhr auf meinem Schreibtisch zeigen halb sechs an. Ich tippe Jans Nummer in die Tasten des Telefons. Und wenn ich die Herren Torge wecke. Ich liege ja auch wach.
    Es läutet durch, bis das Klingelzeichen abbricht. Und auch ans Handy geht er nicht.
    Ich versuche, mich zu beruhigen, sage mir, dass ich gerade unnötig hysterisch bin. Wahrscheinlich sind sie gerade bei Husum auf die Autobahn gefahren, damit Jan pünktlich zur ersten Stunde in der Schule eintrifft.
    Noch eine gute Stunde, bis Papa mich wecken wird.
    Wenn ich nur nicht dieses bescheuerte Bild vor Augen hätte.

83
    Ich schrecke aus einem unruhigen Schlaf hoch, als Papa die Lampe auf meinem Schreibtisch anschaltet. Er nimmt das Telefon von meiner Bettdecke. Beinah reiße ich es ihm aus der Hand. Doch ich kann mich gerade noch zurückhalten. Nur nicht zu auffällig werden.
    »Guten Morgen«, sagt Papa, »ich bitte dich, das Telefon nicht mit ins Bett zu nehmen. Das gehört für alle greifbar auf seine Station im Flur.«
    »Ich war gestern Abend auf einmal so schrecklich müde«, sage ich.
    »Wen wolltest du denn so spät erreichen?«, fragt Papa. »Geht es immer noch um Jans Ausflug nach Husum?«
    »Ich denke, er ist längst zu Hause«, sage ich. »Er hat ja Schule.«
    »Eben«, sagt Papa und verlässt das Zimmer.
    Vielleicht gelingt es mir zu telefonieren, wenn Papa auf dem Klo ist. Dahin wird er das Telefon ja wohl nicht mitnehmen.
    Ich horche auf die Geräusche im Flur. Als die Klotür geht, springe ich aus dem Bett. Das Telefon liegt brav auf seiner Station.
    Ich will gerade damit verschwinden, als Andreas aus seinem Zimmer kommt. Er gähnt heftig, doch als er mich sieht, ist er hellwach.
    »Hast du es noch mal versucht?«, fragt er leise.
    »Um halb sechs«, sage ich. Andreas zieht die Augenbrauen hoch.
    »Wenn Jan dann nicht da war, wird er es auch jetzt nicht sein«, sagt er.

    Trotzdem tippe ich die Nummer ein und höre dem Läuten
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