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Herz und Fuß

Herz und Fuß

Titel: Herz und Fuß
Autoren: Anne Bax
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und den alten Rechner meines Vaters ersetzte nach und nach eine hochmoderne Schnittstelle zum Weltwissen. Wenn sich in ihrem neuesten Laptop die Freundeslisten bei den verschiedensten Social Networks aufklappten, dann gaben sie unzählige Kontakte überall auf der Welt frei. Ich war mir sicher, dass keiner dieser digitalen Freunde vermutete, dass der allwissende ErzEngel eine zweiundsiebzigjährige Witwe aus dem Ruhrgebiet war. Die Rentner im Gemeindehaus, denen sie Nachhilfe im Online-Shopping erteilte, bewunderten sie. Ich war nie sicher, ob ich es seltsamer fand, eine Mutter zu haben, die eine so enge Grenze um ihr reales Leben gezogen hatte, oder eine, die im virtuellen Netz keine Grenzen kannte. Ich war mir allerdings sicher, dass mich die normale Mutter meiner Kindheit weniger interessiert hatte.
     
    »Du weißt also, was passiert ist?« Ich warf ihr einen Blick zu, der auch darum bat, es nicht erzählen zu müssen.
     
    Sie setzte sich zu mir und Nana Mouskouri aufs Bett und strich mir die Haare aus der Stirn. »Ja. Ich habe den Polizeibericht und den Bericht des Gerichtsmediziners gelesen. Es ist schon interessant, wie oft sensible Dokumente einfach zu schlecht gesicherten E-Mail-Accounts weitergeleitet werden. Der Bericht des Gerichtsmediziners kam allerdings erst vor ein paar Minuten und ist vorläufig. Er fährt jetzt über das Wochenende auf eine Fortbildung. Im Laufe der nächsten Woche kommen da sicherlich noch Ergebnisse dazu, einige Tests dauern länger. Willst du es hören?«
     
    So wie sie es formulierte, klang es, als ob die verschiedenen Berichte und Untersuchungsergebnisse auf ihren digitalen Wanderungen ganz automatisch in ihrem Computer vorbeischauen mussten. Und da Duislexic ein paar unsichtbare Umleitungsschilder aufgestellt hatte, blieb ihnen wohl auch nichts anderes übrig. »Wissen sie, wer es ist? Ich meine, zu wem der Fuß gehört?« Es fiel mir immer noch schwer, den Fuß als Teil eines Menschen zu sehen, und mein Magen schleuderte bei der Vorstellung eine kleine Säurefontaine hinauf in den Rachenraum.
     
    »Nein. Es gibt keinen Hinweis auf die Identität des Fußbesitzers, aber tot ist er. Sie vermuten im Moment, dass er obdachlos war. Sehr gepflegt war der Fuß nicht und Vermisstenanzeigen für einen Mann jenseits der Siebzig liegen in der Region nicht vor. Bundesweit muss das noch genauer ermittelt werden. Es steht auch fest, dass er schon tot war, als ihm der rechte Fuß entfernt wurde, tot und auch schon eingefroren. Abgehackt übrigens, nicht abgesägt. Es gibt einen Fingerabdruck auf der Rose. Nach einem Vergleich mit deinem Funkgerät sind sie sicher, dass es deiner ist. Todesursache war vermutlich die große Menge Ameisensäure, die er im Körper hatte.«
     
    Ich hatte noch nicht gefrühstückt und würde es nach diesem Morgen wahrscheinlich auch nie wieder tun, obwohl die übereifrige Magensäure etwaige Speisen schon auf der Höhe der Mandeln in Empfang nehmen wollte.
     
    Das, was ich gestern gefunden hatte, war also ein Teil eines eingefrorenen, schmuddeligen, älteren Herrn, dem jemand den rechten Fuß abgehackt hatte und der voller Ameisensäure war. Mir kribbelten jetzt neben dem Rachen auch noch beide Waden und ich versteckte sie unter der Decke.
     
    »Wie kommt man an Ameisensäure im Körper?« Wollte ich das wirklich wissen? Ich hielt Nana Mouskouri stellvertretend die zotteligen Ohren zu.
     
    Man merkte, dass ErzEngel den Morgen nicht nur zum Haare flechten, sondern auch zur Online-Recherche genutzt hatte, denn sie sprudelte eifrig hervor: »Ameisensäure ist ein toxisches Folgeprodukt von Methanol. Dein Fuß hatte getrunken, wahnsinnig viel und wahrscheinlich selbst gebrannt, das geht immer mal wieder schief.«
     
    »Oder jemand hat ihn mit Methanol vergiftet?« War mir das lieber?
     
    »Nun ja, irgendjemand hat nach seinem Tod auf eine herkömmliche Bestattung verzichtet, ihn umgehend eingefroren und stellt ihn jetzt portionsweise aus. Da wäre es schon möglich, dass die gleiche Person auch für sein Ableben gesorgt hat, nicht wahr?«
     
    Die viele Zeit in einer Welt der Ja-nein-Entscheidungen ließ meine Mutter oft etwas gleichgültig gegenüber menschlichen Verwicklungen wirken. Was sie auch war.
     
    »Und warum hat dieser Mensch dann jetzt einen Fuß aufs Dach des Gasometers gestellt?«
     
    »Das, meine Liebe, wird ohne jegliches Fachwissen in vielen Internetforen heftig diskutiert. Die meisten glauben, dass da jemand nach Aufmerksamkeit für seine
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