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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge
Autoren: Kai Meyer
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Dutzend Männer in Oldrichs Rücken zog die Schwerter blank. Kämpfer seiner Leibgarde. Der Bischof gönnte sich beim Ton ihrer Klingen jenes stolze Lächeln, das ihm daheim in Prag allein der Gesang der Chorknaben entlockte.
    Einen Augenblick lang hatte Gahmuret keinen anderen Wunsch, als diese triumphierende Grimasse von den Zü gen des Älteren zu schälen wie die Haut von einem Apfel.
    Bischof Oldrich gab seinen Männern einen Wink. In breiter Reihe schoben sie sich an ihm vorüber, rückten geschlossen auf den Mann mit der Maske zu.
    »Niemand entkommt aus der Hölle, Gahmuret, auch Ihr nicht!« Der Bischof umfasste die ausgebrannten Ruinen auf beiden Straßenseiten mit einer weiten Geste. Das Fanal der Flammen spiegelte sich auf seiner Rüstung. Zwischen den Trümmern waren keine weiteren Menschen zu sehen. Falls noch Leben in den Steingerippen dieses Viertels existierte, war es klug genug, sich zu verkriechen.
    »Euer Pathos war schon immer schwer zu ertragen«, entgegnete Gahmuret und nahm die Maske ab. Einigen der Soldaten entwich beim Anblick seiner verwüsteten Züge ein Stöhnen. Monatelang hatte er vermieden, dass seine Söhne ihn so sahen; jetzt aber war es wichtiger, die Gegner zu verunsichern. »Ihr verkündet Prophezeiungen, seit ich Euch kenne, Bischof Oldrich, aber Ihr seid zu feige, selbst für ihre Erfüllung einzutreten.«
    Die Krieger waren nur noch zehn Schritt von Gahmuret entfernt. Er überlegte, ob er versuchen sollte, vor ihnen davonzulaufen. Das Charisius-Tor war nicht weit, nicht einmal hundert Schritt, und er mochte es vor ihnen erreichen. Aber die Kinder würden nicht schnell genug sein. Und selbst wenn – draußen vor den Mauern würde man sie ebenso abschlachten wie hier im Inneren.
    »Es tut mir leid um Euch, dessen seid versichert.« Oldrich nahm seinen Helm ab und klemmte ihn in die Armbeuge. »Ihr habt Euch tapfer geschlagen.«
    Die Miene des Bischofs änderte sich nicht, nur der Flammenschein erzeugte die Illusion von Bewegung auf seinen Zügen.
    Gahmuret streckte das Schwert aus und zeigte damit in einem langsamen Halbkreis die Reihe seiner Gegner entlang. Hinter ihm wimmerte der kleinere der beiden Jungen; der ältere ergriff die Hand seines Bruders, war aber selbst zu verängstigt, um ihn zu trösten.
    »Zwölf Männer gegen einen?«, sagte Gahmuret zum Bischof. »Die Kirche muss mich wahrlich fürchten.«
    »Euer Wissen macht Euch zu einem gefährlichen Mann.«
    Gahmuret nickte. Statt weiter mit dem Bischof zu sprechen, wandte er sich an dessen Gefolgschaft. Die Gesichter der Männer wirkten entschlossen, kantig, unnahbar. »Bevor ihr mich tötet, werde ich dieses Wissen hinausbrüllen, sodass jeder von euch es hören kann. Und was, glaubt ihr, wird dann mit euch geschehen?«
    Hier und da ein leichtes Zucken, das Runzeln einer Stirn, ein Flackern in rotgeränderten Augen. Zu viel Rauch, zu viel Tod. Aber genug Verstand, um den Sinn seiner Worte zu erfassen.
    Fünf Schritte trennten die Männer von der Spitze seines Langschwertes. Es war eine starke Klinge, sie hatte schon seinem Vater gute Dienste geleistet.
    »Wenn ihr wisst, was ich weiß, dann wird Oldrich auch euch töten lassen. Und wenn nicht er, dann jene, die meinen Tod beschlossen haben.«
    Der Oberste der Garde hob die Hand. Er war der Einzige, der einen geschlossenen Helm trug. Die Männer blieben stehen.
    »Zwölf Männer, Oldrich«, wiederholte Gahmuret. In seiner Linken hielt er immer noch die Maske. Seit der Schlacht um Zara war sie sein zweites Gesicht. »Wie viele werden nötig sein, um diese zwölf zu erschlagen? Hundertzwanzig? Und wie viele von denen werden es wissen, bevor sie diese hier zum Schweigen bringen?«
    »Seid still!«, zischte der Bischof. Es klang, als hätte das Fauchen der Feuer Silben geformt.
    »Erst wenn Ihr mich und meine Söhne gehen lasst.« Gahmuret fürchtete nicht um sein eigenes Leben, nur um das der Kinder. Sie waren Zeugen des Verrats an ihrem Vater.
    Die Hand des Gardeführers war noch immer erhoben. Niemand regte sich. Gahmuret sah, wie es hinter den Gesichtern der Männer arbeitete. Aus seiner eigenen Miene konnte niemand mehr ablesen, was er dachte. Selbst sein Lächeln war ein vernarbter Albtraum. Er war froh, dass die Jungen hinter ihm standen und sein Gesicht nicht deutlich sehen konnten.
    Er unterbrach die schwingende Halbkreisbewegung seiner Schwertspitze. Die Klinge an seinem ausgestreckten Arm zeigte jetzt auf den gesichtslosen Anführer.
    Quer über den Hals des
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