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Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition)
Autoren: Tatjana Meissner
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trinken?« Er weiß meinen Namen, juble ich innerlich. Ich klettere auf den Barhocker, den mir ein Mann durch Schlagen auf die Sitzfläche anbietet, und schreie gegen hunderte Stimmen: »Gern! Gib mir irgendetwas. Ich will mit dir anstoßen. Auf uns!« Ich bin mir so sicher, dass jetzt alles gut wird, dass ich mich erleichtert auf den Hocker plumpsen lasse und in Daliahs Lied einstimme. Willst Du mit mir gehn, Licht und Schatten verstehn. Dabei beobachte ich Carsten, der eine angefangene Flasche Riesling aus dem Kühlfach und ein Glas aus dem Schrank nimmt. Das ist und bleibt sein Lieblingswein, stelle ich erfreut fest. Dich mit Windrosen drehen? Er schenkt ein. Willst du mit mir gehen? Die Flasche ist leer, das Glas nur halbvoll. Man nennt es Liebe!
    »Hey, Puffel, reich mir bitte eine neue Flasche Riesling!«, ruft Carsten. Man nennt es Glücklichsein! Ich folge seinem Blick und sehe eine junge, schlanke, blond gefärbte Dauerwelle, die ein Flasche Riesling aus dem Kühlschrank nimmt. Willst du mit mir gehn, wenn ich nicht mehr bin wie einst . Irritiert lasse ich Daliah allein weitersingen, während Carsten die Flasche gegen ein Küsschen eintauscht. Willst du mit mir gehen? Die Alarmglocken in meinem Hinterkopf schrillen, als ob in meinem Handy eine SMS eingeht.
    »Wer ist Puffel?«, frage ich, vor plötzlicher Enttäuschung hechelnd.
    Carsten schenkt mein Glas bis zum Rand voll und balanciert es auf den Tresen. Dann zieht er die Frau an seine Seite und legt den Arm um ihre schmalen Schultern. »Das ist meine Freundin. Sie ist gleich, als sie von der Maueröffnung hörte, von Forst hierhergekommen!« Er guckt mich dabei an, als würde er mir mitteilen, dass ich gerade mehrere Millionen im Lotto gewonnen hätte. Willst du mit mir gehen, auch wenn du um gestern weinst, jault Daliah und ich brülle zurück: » Was für ein beknackter, zermürbender und sinnloser Albtraum!«
    Ich registriere, dass Puffel noch weniger Brust hat als ich, und verstehe die Welt nicht mehr. Mir entgleisen meine Gesichtszüge. Meine Fassungslosigkeit scheint auch Carsten zu erschrecken. Er nimmt seine Hand von Puffels Schulter. Dann schiebt er seinen Oberkörper so weit wie möglich über den Tresen in meine Richtung und sagt: »Bist du die Tatjana, die meine Mutter angerufen hat?« Ich antworte nicht. Stattdessen schütte ich mir den Riesling in den Mund, wische dann mit dem Handrücken den verkleckerten Rebensaft von meinem Kinn und stelle das Glas mit lautem Knall wieder zurück auf den Tresen.
    Puffel greift zwischen Carsten und mein Gesicht nach dem leeren Glas. Carsten schaut unbeirrt in meine Augen. Ein süffisantes Lächeln zuckt in seinem Mundwinkel. »Du bist irgendwie lustig. Und so fantasiereich. Bewundernswert!«
    Das ist eine von Carstens Stärken: deeskalieren, den Gesprächspartner beruhigen und in Sicherheit wiegen. Ich kenne das. Wenn ich mich über kreischende Kinder, unzuverlässige Kollegen oder seine Wahl des Fernsehprogramms aufrege, wird er immer gelassener. Aber jetzt geht es für mich um alles. Ich lasse mich von einem Zwanzigjährigen nicht einlullen. Die Umstehenden, die freudetrunken den Mauerfall feiern, nehme ich gar nicht mehr wahr. Ich schiebe mein Gesicht so dicht an Carstens, dass ich sein Parfüm riechen kann. Er weicht mir nicht aus. Kurz, eher flüchtig, dafür rauschhaft sorgen seine Pheromone dafür, dass mein Blut meinen Kopf verlässt. Ich atme den Kontrollverlust über meinen Körper weg. »Alles, was ich will, ist, dass du mir zuhörst. Unter vier Augen!«, hauche ich ihm entgegen.
    Carsten gibt mir zu verstehen, dass ich hinter den Tresen kommen soll. Während ich wieder durch die Massen drängle, erfasst mich das Gefühl, dass den Zurück-in-die-Vergangenheit-Sam immer erfassen muss, wenn er kurz vor der Lösung des ihm aufgetragenen Problems steht. Meine Niere gibt eine Runde Adrenalin aus, mein Serotoninspiegel begibt sich auf einen Höhenflug, und mich durchflutet nicht nur die Gewissheit, genau das Richtige zu tun, sondern auch die unbeschreibliche Vorfreude auf die Rückkehr in mein altes, neues Leben.
    Carsten empfängt mich mit einem weiteren Glas Riesling. Wir trinken einen Schluck. Als sich Carstens Mund meinem Ohr nähert, fürchte ich, in meinen Glückshormonen zu ersaufen. Er fragt: »Warum hast du meiner Mutter erzählt, ich wäre die große Liebe deines Lebens? Du kennst mich doch gar nicht.«
    Der nächste Schluck Riesling sorgt für den Mut, den ich jetzt für die ganze Wahrheit
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