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Herr der Welt

Herr der Welt

Titel: Herr der Welt
Autoren: Jules Verne
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des Great-Eyry zu besichtigen, ohne den trotzigen Felsen zu erklimmen.
    In den ersten Tagen des Septembers sollte nämlich in Morganton ein Ballon mit dem Luftschiffer Wilker aufsteigen. Geschah das bei einer östlichen Luftströmung, so wurde der Ballon nach dem Great-Eyry hin getragen und es eröffnete sich die Aussicht, daß er über diesen vorüberschwebte. Befand er sich dann einige hundert Fuß über dem Berge, so konnte Wilker diesen mit Hilfe eines guten Fernrohres leicht besichtigen, seine Verhältnisse in der Tiefe erkennen und sich überzeugen, ob sich zwischen den hohen Gesteinsmauern ein Vulkanschlot zeigte. Das war ja überhaupt die wichtigste Frage. War diese gelöst, so wußte man auch, ob die Umgebung in näherer oder fernerer Zeit einen Ausbruch zu befürchten hätte.
    Der Aufstieg erfolgte in der angedeuteten Weise bei mäßigem, aber stetigem Winde und klarem Himmel. Die Dunstmassen des Morgens hatten sich unter den glänzenden Strahlen der Sonne verflüchtigt. War nun das Innere des Great-Eyry nicht von Nebelwolken erfüllt, so konnte ihn der Luftschiffer in seiner ganzen Ausdehnung übersehen. Stiegen aus dem Innern Dämpfe auf, so mußte er diese wahrnehmen. In diesem Falle mußte man dann zugeben, daß an dieser Stelle der Blauen Berge ein Vulkan mit dem Great-Eyry als Krater vorhanden war.
    Der Ballon stieg anfangs gegen fünfzehnhundert Fuß empor und blieb dann eine Viertelstunde lang ziemlich unbewegt stehen. In jener Höhe war kein Wind mehr bemerkbar, obwohl er noch über den Erdboden unten hinwegstrich. Zur größten Enttäuschung geriet der Ballon dann aber in eine andere Luftströmung und schwebte nach Osten zu. Damit entfernte er sich leider von der Bergkette und es schwand jede Hoffnung, ihn dahin zurückkehren zu sehen. Den Bewohnern des Fleckens verlor er sich bald aus den Augen, und später hörte man, daß er in der Nähe von Raleigh, der Hauptstadt von Nordkarolina, gelandet war.
    Dieser Versuch war also mißglückt, und man beschloß deshalb, ihn unter günstigeren Verhältnissen zu wiederholen. Zeitweilig waren auch noch andere Geräusche hörbar geworden, während auch gemengte Dämpfe aufstiegen und der Schein von flackernden Flammen sich an den Wolken spiegelte. Daß die herrschende Unruhe dabei nicht abnahm, liegt wohl auf der Hand; die Gegend blieb ja nach wie vor von seismischen oder vulkanischen Erscheinungen bedroht.
    In den ersten Apriltagen des laufenden Jahres sollten sich die mehr oder weniger unklaren Befürchtungen gar noch zum wirklichen Schrecken steigern. Die Tagesblätter der Gegend hallten auch von der öffentlichen Beängstigung wider. Das ganze Gebiet zwischen der Bergkette und dem Flecken Morganton sah sich von nahe bevorstehender Zerstörung bedroht.
    In der Nacht vom 4. zum 5. April wurden die Einwohner von Pleasant-Garden durch eine von schrecklichem Getöse begleitete Erderschütterung aus dem Schlummer geweckt, und der naheliegende Gedanke, daß der benachbarte Teil des Bergzuges zusammenbrechen könnte, rief eine unbeschreibliche Panik hervor. Alle stürzten, zum Fliehen bereit, aus den Häusern, da sie jeden Augenblick fürchteten, einen Abgrund sich auftun zu sehen, der Farmen und Dörfer auf einer Strecke von zehn bis fünfzehn Meilen zu verschlingen drohte.
    Die Nacht war tiefdunkel. Eine schwere Wolkendecke hing drückend über der Erde. Selbst bei hellem Tage wäre der Kamm der Blauen Berge dabei nicht sichtbar gewesen.
    Inmitten der herrschenden Finsternis war aber gar nichts zu unterscheiden, kaum konnte man auf das Wehgeschrei antworten, das sich auf allen Seiten erhoben hatte. Bestürzte Gruppen, Männer, Frauen und Kinder, suchten nur noch gangbare Wege zu finden und drängten einander in wirrem Knäuel hier-und dorthin.
    »Das ist ein Erdbeben! tönte es von verschiedenen Seiten her.
    – Ein Vulkanausbruch!
    – Doch woher?
    – Vom Great-Eyry!«
    Bis nach Morganton verbreitete sich die Schauermär, daß es Steine, Asche, Lava und Schlacken über das Land regne.
    Man hätte nun dagegen darauf hinweisen können, daß das Getöse – wenigstens bei einem Vulkanausbruch – hätte deutlicher werden und daß dabei Flammen über den Kamm der Bergkette hätten aufleuchten müssen. Glühende Lavaströme hätten doch auch bei der Finsternis dem Blicke nicht entgehen können. Über dergleichen gab sich aber niemand Rechenschaft; die zum Tode erschreckten Leute versicherten nur, in ihren Häusern Erschütterungen des Erdbodens gefühlt zu haben.
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