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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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spielte, während er Sikiokuus Herausforderung entkräftete, war ersichtlich, dass er noch ein As im Ärmel hatte. Als Machokali es herausholte, waren sogar einige Minister sprachlos. Schon bald nämlich werde die Global Bank eine Delegation ins Land schicken, um über Marching to Heaven zu verhandeln und zu entscheiden, ob die Bank Aburĩria das Geld für die Fertigstellung vorschießen könne.
    Nach einer bewussten Pause, die die Wirkung der Nachricht verstärken sollte, wandte sich Machokali an den Herrscher und bat ihn, Marching to Heaven als Geschenk einer dankbaren Nation an ihren Herrscher anzunehmen.
    Die Blaskapellen spielten:
    Zum Geburtstag viel Glück
    Zum Geburtstag viel Glück
    Zum Geburtstag, lieber Herrscher
    Zum Geburtstag viel Glück
    Der Herrscher erhob sich, Stab und Fliegenwedel in der linken Hand. Sein dunkler Anzug glich aufs Haar dem von Machokali, doch wenn man genauer hinsah, konnte man erkennen, dass die Nadelstreifen aus winzigen Buchstaben bestanden, die die Worte WER DIE MACHT HAT, HAT DAS RECHT bildeten. Gerüchte besagten, seine Kleidung werde ausschließlich in Europa maßgeschneidert, und seine Nadelakrobaten in London, Paris und Rom würden nichts anderes tun, als seine Kleidung zu schneidern. Was seine Anzüge von allen Nachahmungen irgendwelcher politischer Schwanzwedler unterschied, das waren die Besätze auf den Schultern und Ellbogen seiner Sakkos, denn diese bestanden ausnahmslos aus den Fellen von Großkatzen, zumeist Leoparden, Tigern und Löwen. Keinem Politiker war es gestattet, Kleidung zu tragen, die mit den Fellen Seiner Großen Katzen besetzt waren. Diese Besonderheit hatte die Kinder zu einem Lied animiert, in dem es hieß, dass ihr Herrscher
    Auf der Erde schreitet wie ein Leopard
    Den Pfad erhellt mit dem Auge des Tigers
    Und brüllt mit der Wildheit des Löwen
    Mit seiner Größe und seinem Maßanzug war der Herrscher eine durchaus beeindruckende Erscheinung, und auch deshalb kommen die Anhänger der fünften Theorie immer wieder darauf zurück, wie er an diesem Tag aussah. Er strotzte vor bester Gesundheit, wie er da stand, sich räusperte und verkündete: „Ich bin zutiefst bewegt von der ungeheuren Liebe, die ihr mir alle heute zuteil werden lasst …“ Bevor er fortfahre, wolle er seine Anerkennung für ihre Zuneigung durch einen Gnadenakt zum Ausdruck bringen. Er verkündete die Freilassung Hunderter politischer Gefangener, unter ihnen auch ein paar Schriftsteller und Journalisten, die alle ohne Gerichtsverfahren inhaftiert worden waren, sowie ein Historiker, der seit zehn Jahren im Gefängnis saß und zu dessen Verbrechen es gehört hatte, ein Buch mit dem Titel „Das Volk macht Geschichte für des Herrschers Macht“ geschrieben zu haben. Die angeblichen Sünden dieses Historikers nagten noch immer am Herrscher, sogar jetzt kam er auf diesen Fall zu sprechen. Professor Materu nannte er ihn und bezog sich sarkastisch auf die Tatsache, dass bei der Ankunft im Gefängnis als Erstes der lange Bart des Professors einem stumpfen Messer zum Opfer gefallen war. Dieser Terrorist des Intellekts, so nannte er ihn, habe zehn Jahre im Gefängnis verbracht, doch anlässlich dieses historischen Ereignisses habe er ihn vorzeitig entlassen. Allerdings sei es Professor Materu nicht gestattet, sich den Bart länger als einen Zentimeter wachsen zu lassen, anderenfalls müsse er wieder ins Gefängnis. Er habe sich monatlich bei einer Polizeiwache zu melden, um seinen Bart messen zu lassen. Alle anderen Dissidenten hätten zu schwören, nie wieder Gerüchte aufzugreifen und sie als geschichtliche Tatsachen, als Literatur oder journalistische Arbeiten auszugeben. Wenn sie sich besserten, würden sie ihn als Herrscher der Großzügigkeit kennenlernen, der die wahrhaft Reumütigen belohne, sagte er, bevor er sich der einzigen Frau auf der Bühne zuwandte.
    „Dr. Yunice Immaculate Mgenzi“, stellte er sie lautstark vor.
    Langsam und besonnen stand die schweigende Frau auf. Ihr sicheres Auftreten wirkte beeindruckend.
    „Seht ihr diese Frau?“, fuhr der Herrscher fort. „In den Zeiten des Kalten Krieges war sie, die hier vor euch steht, eine Revolutionärin. Eine ziemlich radikale; ihr Name war Programm: Dr. Yunity Mgeuzi-Bila-Shaka. Versteht ihr? Ohne Zweifel eine Revolutionärin. Maoistisch. Alikuwa mtu ya Beijing . Aber in den letzten Tagen des Kalten Krieges gab sie ihre revolutionäre Torheit auf, bereute aufrichtig und gelobte mir treue Dienste. Habe ich sie ins
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