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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis
Autoren: Robert Silverberg
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bekommen würde. Ihr Kapitän war ein gewisser Pedro Teixeira, der mich mit großer Höflichkeit und Freundlichkeit behandelte und mir eine gute Kabine anbot. »Ihr seid alt«, sagte er, »und man hat mir gesagt, daß Ihr Portugal große Dienste erwiesen habt, und ich möchte, daß Ihr gut schlaft in diesen Nächten.« Und seine Worte trafen mich in zweifacher Hinsicht tief: denn im Inneren hatte ich noch nicht begriffen, daß ich alt geworden war, und ich würde von mir auch nicht sagen, daß ich Portugal große Dienste erwiesen hätte, diesem Land, das so lange der Feind des meinen gewesen war. Doch diese beiden Dinge waren durch und durch wahr, ob es mir nun gefiel oder nicht.
    Ich nahm nur einen meiner Schwarzmohr-Knaben auf die Reise mit; er war zwölf Jahre alt und sehr begierig, England zu sehen. Doch der andere wollte mich nicht begleiten und bat mich, ihn in Angola zu verkaufen, was ich ihm auch gewährte. Dieser Junge, den ich mitnahm, hatte keinen Namen, denn er hatte ihn während seiner Gefangenschaft vergessen, und nun gab ich ihm einen, und zwar Francis, zu Ehren des großen Drake.
    An einem Märztage von äußerster Klarheit der Sonne im Jahre des Herrn 1610 setzten wir die Segel, fuhren an der Insel Luanda vorbei und aufs offene Meer. Und ich drehte mich um und schaute zurück zu der festgebackenen Erde und den großen Bäumen von Angola und zu der Festung der Stadt auf ihrem Hügel, wo ich als Gefangener gelegen hatte. Und es war, als zöge mein ganzes Leben in Afrika auf einmal vor meinen Augen vorbei, meine Kriege und Dienste und Verletzungen, meine Jahre unter den Portugiesen und den Jaqqas, und meine Weiber und die Frauen, die ich geliebt hatte, all das in einem einzigen großen Blitz, der mich benommen machte, und ich mußte mich an der Reling fest halten, um nicht zu stürzen. Und ein spanischer Matrose sprang zu mir und sagte: »Lehnt Euch an mich, alter Mann, und ich werde Euch stützen.«
    »So alt bin ich nicht«, sagte ich, schmerzlich getroffen, dieses Wort zum zweiten Mal in einer Stunde zu hören, velho von den Lippen des Kapitäns und viejo von denen des anderen, wobei jedoch die Bedeutung gleich war und beide den gleichen, tiefen Klang hatten. Woraufhin der Junge lächelte, denn er war nicht mehr als dreiundzwanzig und ich alt genug, um sein Vater sein zu können. In meiner Vorstellung war ich immer noch der goldenhaarige Junge, der England verlassen hatte, doch in seinen Augen, so fürchte ich, schien ich von der Zeit ausgedörrt und verwittert und eingefallen zu sein.
    Und ich sagte: »Es war der Ansturm der Erinnerungen, der mich geschwächt hat, denn ich verlasse ein Land, in dem ich lange, lange Zeit verbracht habe.«
    »Und Ihr geht ungern, Vater?«
    »Nay«, sagte ich, »ich kehre gern nach Hause zurück.«
    Doch ich wußte, daß meine Gefühle in dieser Hinsicht gemischt waren.
    Ich blieb dort stehen und schaute zu dem Hügel zurück. Und es kam eine Wolke und verdunkelte das Land, und ich glaubte, in den Rundungen und Krümmungen dieses Hügels das Gesicht des Imbe Calandola zu sehen, und stellte mir vor, wie er mir mit seiner lauten, tiefen Stimme zurief: »Andubatil! Andubatil!« Und so wandte ich ihm den Rücken zu, und ganz Afrika, und schaute auf die gewaltige, sonnenfunkelnde, blau-grüne Brust des Ozeans hinaus.
    Unser Schiff war langsam und schwer, und die Winde waren widrig, wie sie es immer sind; doch wir entfernten uns langsam, aber gleichmäßig von der Küste. Ich schaute wieder zum Land zurück, dachte, wie ein Lotse denkt, daß ich dieses Kap kenne und jenes und daß dort drüben die Zairemündung sein muß und dort Cabo de Palmar im Land Loango und dort Kabinda, und so weiter und so fort. Diese Namen nannte ich den Matrosen, die erst wenig Dienst in Afrika geleistet hatten und mit jenen Landmarken unvertraut waren; und auch sie lächelten mir zu und hielten mich zweifellos für einen törichten, wenn auch gutherzigen Alten.
    Doch einige kamen zu mir und baten mich um Geschichten aus Angola, und ich berichtete ihnen einige und verriet ihnen etwas meines Lotsenwissens, das in meinem Geist noch immer scharf war. Es waren gute Matrosen, Männer von Kühnheit und Fleiß, die von Jugend an mit dem Tagwerk der See aufgewachsen waren. Es bereitete mir zuerst Unbehagen, unter so vielen Spaniern zu sein, nachdem sie, seit ich ein Junge war, die Feinde meiner Nation gewesen waren. Doch dieser Krieg hatte ein Ende gefunden, und diese Männer brachten mir keine Feindschaft
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