Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Herr Bofrost, der Apotheker und ich

Titel: Herr Bofrost, der Apotheker und ich
Autoren: Sabine Neuffer
Vom Netzwerk:
...«
    »Hast du noch Wein?«, unterbrach ich ihn hastig.
    Er lächelte, langte hinter sich und schenkte uns nach. Dann fläzte er sich in die Ecke seiner Sitzbank. »Erzähl mir mal von dir, schöne Helena. Woher kommst du? Wo sind deine Wurzeln?«
    Ach, du je. Eine schwierigere Frage konnte man mir gar nicht stellen. Wurzeln? – Ich hatte keine Wurzeln, das war mein Problem. Hanne, meine Mutter, hatte mich sozusagen im Galopp verloren. Irgendwo auf einer griechischen Insel, zwischen zwei Ausgrabungsstationen. »Och«, sagte ich daher vage, »ein bisschen in Griechenland, ein bisschen in Süddeutschland, ein bisschen mehr in Norddeutschland.«
    »Mann, das klingt ja toll! Sprichst du etwa auch Griechisch?« Steffen neigte sich interessiert vor.
    »Ja, ich bin eine Zeit lang in Athen zur Schule gegangen.« Das klang für andere immer toll, für mich war es die Hölle gewesen. Athen war verdammt weit weg von Rotenburg an der Wümme, von Katharina und Nina, von Laura, und das hatte sehr wehgetan.
    »Und was, um Himmels willen, hat dich dann ausgerechnet nach Hameln verschlagen? Die Liebe etwa?« Die grünen Pünktchen tanzten spöttisch.
    »Na und? Findest du das so verwerflich?«, gab ich zurück. Natürlich hätte ich ihm das genauer erklären können, aber einen Teufel würde ich tun! Ich reiste nicht auf die Mitleidstour und außerdem – es ging mir ja gut. Ich hatte alles, was ich immer gewollt hatte.
    »Und das reicht dir?« Steffen ließ nicht locker.
    »Ja.« Ich strahlte ihn an, und er gab auf,
    Fast. »Hast du Kinder?«, war seine nächste Frage.
    Ich schüttelte den Kopf Die meisten Leute verstanden nicht, dass ich keine Kinder hatte. Sie meinten, wenn ich Kinderbücher malte, müsse es mir doch ein Herzensanliegen sein, mir meine eigene Klientel heranzuzüchten. Aber das war natürlich Quatsch. Erstens würden meine eigenen Kinder aus den Beständen meiner Autorenexemplare bedient werden und mir keinen müden Euro einbringen, zweitens würden sie mich nachhaltig vom Malen abhalten. Außerdem – ich war erst vierunddreißig, ich hatte noch jede Menge Zeit.
    »Willst du denn welche?«, forschte Steffen weiter.
    »Ja, sicher. Irgendwann.« Nun reichte es aber. Wollte er meinen kompletten Lebensplan, oder was? »Was machst du denn so, wenn du nicht fotografierst?«, fragte ich.
    »Ich lese viel. Und ich spiele ein bisschen Basketball, aber richtig gut bin ich nicht. Die anderen sind alle größer als ich.« Er warf mir einen Mitleid heischenden Blick zu, der mich nicht sonderlich beeindruckte. Steffen war mindestens eins neunzig, bestimmt zwanzig Zentimeter größer als ich! »Aber viel Zeit bleibt mir nicht für meine Hobbys. Schließlich will ich mir irgendwann mein Bauernhaus in der Heide leisten können, und zwar ein richtiges. Das ist teuer! Und einen Porsche brauche ich dann ja auch, um schnell in Hamburg zu sein.« Er zwinkerte mir vergnügt zu.
    »Wieso? Ich dachte, du arbeitest dann in deinem Bauernhaus?«
    »Ja, klar. Aber wenn man mal eben ein bisschen einkaufen will ...«
    »Aha, ein Schickimicki auf dem Dorfe – ist das dein Traum?«
    So ging es noch eine ganze Weile hin und her. Wir zogen einander auf, und mit jedem Schluck Barolo wurden wir alberner.
    Bis mich irgendwann bleierne Müdigkeit überfiel. Plötzlich spürte ich den langen Tag, die Autofahrt, den ungewohnt schweren Wein, das intensive Gespräch. Alles ein bisschen viel, immerhin war es schon Mitternacht.
    »Hey, du hast Geburtstag!« Ich rappelte mich auf, ging um den Tisch herum und ... Ich weiß nicht, wie es passierte, aber plötzlich lagen wir uns in den Armen. Steffen drückte mich sehr fest an sich, ich nuschelte irgendetwas Einfallsloses wie »Herzlichen Glückwunsch«, und dann küssten wir uns. Viel zu intensiv. Viel zu lange. Viel zu ... verwirrend.
    Steffen war es, der mich schließlich von sich schob. Ein paar Zentimeter. Sein Blick hielt mich fest. Die grünen Pünktchen tanzten. Ohne Spott.
    »Ich danke dir, schöne Helena«, sagte er heiser und strich mir das Haar aus der Stirn.
    Wofür? Für den aufregendsten Kuss meines Lebens? »Ich muss jetzt gehen«, murmelte ich und machte mich los.
    »Wohin?«, fragte Steffen verblüfft.
    »In mein Auto natürlich«, erklärte ich, obwohl ich das alles andere als natürlich fand. Natürlich wäre es gewesen, in diese Arme zurückzusinken und ... Und???
    »Quatsch! Du schläfst hier«, sagte Steffen plötzlich ganz sachlich. »Ich baue jetzt das Bett, es ist riesig, und etwas
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher