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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
Autoren: Hugo Ball
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Vierwaldstättersee
    wieder auf, dieser Apollo; in der »Musik des Einsamen« von 1915
    wieder, und wird noch 1925 ins »Bilderbuch« aufgenommen. Er ist
    das Zeichen für Hesses Dichtkunst selbst. Die flirrenden
    edelsteinfarbenen, die blitzenden Akzente seiner Sprache; auch die
    blutigen, spitzen Aufschreie der Schönheit: sie könnten aus
    Zinzendorfs ähnlich intensiven Funkelworten genommen sein; sie
    könnten von den pietistischen zwölf Edelsteinen herrühren, die an
    den Toren der himmlischen Stadt erglänzen. Wahrscheinlicher aber
    stammen sie von den Falterflügeln der Schützenmatte und von den
    blitzenden Fischflossen im Schwarzwaldbach.
    Ein anderes Bild, neben der Schützenmatte, ist das Elternpaar. »Ich
    sehe die ganze hohe, magere Gestalt meines Vaters aufrecht mit
    zurückgelegtem Haupt einer untergehenden Sonne entgegengehen,
    den Filzhut in der Linken tragend. An ihn ist meine Mutter sanft im
    langsamen Gehen gelehnt, kleiner und kräftiger, mit einem weißen
    Tuch auf den Schultern.« Der Dichter spricht von der Neigung seines
    Vaters zum Genuß der bildenden und der Dichtkunst, sowie von
    derjenigen seiner Mutter zur Musik. Er gesteht, Erzähler und
    Plauderer von Weltruhm gehört und sie steif und geschmacklos
    gefunden zu haben, sobald er sie mit den Erzählungen seiner Mutter
    verglich. »O ihr wunderbar lichten, goldgründigen Jesusgeschichten,
    du Bethlehem, du Knabe im Tempel, du Gang nach Emmaus!... Ich
    sehe dich noch, meine Mutter, mit dem schönen Haupt zu mir
    geneigt,
    schlank,
    schmiegsam
    und
    geduldig,
    mit
    den
    unvergleichlichen Braunaugen!«

    26
    Und dann folgt im »Lauscher« gleich das Gruseln. »Nächst dem
    unerreichbaren Klang und Sinn der Bibelgeschichten sog ich tief aus
    dem Quell der Märchen. Ein schmaler Raum im Schlafzimmer der
    Eltern, zwischen den beiden Bettstellen, war vorzüglich der ständige
    Wohnort schlitzäugiger Kobolde, rußiger Bergmänner, geköpfter
    Umgänger, traumwandelnder Totschläger und grünschielender
    Raubtiere, so daß ich eine Zeitlang nur in Begleitung Erwachsener
    und noch lange später nur mit äußerster Aufbietung alles
    Knabenstolzes daran vorübergehen konnte.« Als der Vater einmal
    befiehlt, ihm seine dort stehenden Pantoffel zu holen, wagt sich der
    Knabe nicht an den Ort des Entsetzens und kehrt lautlos zurück,
    vorgebend, er habe die Schuhe nicht gefunden. Der Vater, der etwas
    Phantastisches ahnt und ein strenger Feind auch der Notlüge ist,
    schickt ihn nochmals hin: »Du lügst. Sie müssen dort stehen.« Der
    Junge kehrt nochmals unverrichteterdinge zurück, und der Vater
    geht selbst, »während ich mich heulend an ihn hängte, wobei ich ihn
    unter heißen Tränen beschwor, sich dem Winkel nicht zu nähern«. Es
    ist hier, in frühesten Kinderjahren, dieselbe Magie des Gedankens,
    die man als mystische Abhängigkeit von den Hervorbringungen der
    eigenen Seele bei Hypnotisierten und Primitiven, bei Heiligen und in
    Neurosen findet.
    »Ein anderes Mal, fährt Lauscher fort, wuchs mein Angstgefühl
    vollends ins Krankhafte. Ein befreundetes Mädchen erzählte die
    Geschichte von der Glocke Barbara. Diese Glocke Barbara hing in der
    Kirche Barbara und war aus Zauberei und Verbrechen
    hervorgegangen. Sie rief immerfort den Namen einer ruchlos
    erschlagenen Barbara mit blutiger Stimme aus und wurde deshalb
    von den Mördern gestohlen und vergraben. Da, als es Zeit zum
    Nachtläuten war, beginnt die Glocke aus der Erde laut und
    jämmerlich zu tönen:
    Barbara bin ich genannt,
    In der Barbara bin ich gehangt,
    Barbara ist mein Vaterland.
    »Diese halbgeflüsterte Geschichte«, sagt der Verfasser, »regte mich
    schrecklich auf. Mein Grausen wurde dadurch gesteigert, daß ich es
    in mir zu verbergen bemüht war. So stieg mein Schaudergefühl mit

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    jedem Wort der Erzählung, bis mir die Zähne klapperten. Als aber
    nach eben beendeter Geschichte auf Sankt Peter die Abendglocke
    zitternd anschlug, ließ ich in rasender Angst die Hand des kleinen
    Jungen fahren und rannte, von der ganzen Hölle gehetzt, in die
    Nacht hinein, stolperte, stürzte und wurde keuchend und zitternd
    heimgebracht.«
    Es ist schon derselbe Alp, von dem der Dichter in der Traumfolge der
    »Märchen« und immer wieder erzählt; dieselbe Gewissensangst aus
    tiefen Verstrickungen der Phantasie, die ihn gleich Baudelaire die
    erfüllteste und unerfaßbarste Kunst, die Musik, und Chopin lieben
    läßt; die ihn zu dem gehetztesten aller Dichter, zu Strindberg,
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