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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
Autoren: Hugo Ball
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Problematik
    zu verzichten. Wie kann man die Zeit umgehen? Wie kann man aus
    Nimikon und Assisi sein und sich trotzdem behaupten? Diese Frage
    ist heute aktueller als je; aber es fehlt Hesse damals noch die
    Kenntnis der verachteten Welt. Man kann im heutigen Europa mit
    dreißig Jahren kein Simson sein, der den Tempel zum Einsturz
    bringt. Er hat sich zu früh zurückgezogen, zu früh gebunden und
    festgelegt; er verschwendet seine Kraft an Figuren, die keine mehr
    sind; er verniedlicht sich. Auch Rousseau ist ein »Idylliker« gewesen;
    aber er hatte die Enzyklopädisten und alle Raffinesse der Stadt Paris
    in sich aufgenommen, als er ging. Hesse kennt seine damalige
    Schwäche wohl. Er sucht in jenen frühen Büchern ein sympathisches
    Alibi. Er bleibt in den minderen Publikationen auf der Stoffsuche und
    beim Schema, in den stärkeren greift er zur Nobilitierung. Die eigene

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    reichliche Unterströmung wäre interessant genug zur Mitteilung, aber
    der Dichter fühlt sich ihr nicht gewachsen; Leben, Wissen, Erfahrung
    reichen nicht aus. Er ist weit weniger selbstzufrieden, als man
    annehmen könnte. Aber er behält seine Konflikte und seine Reserven
    für sich.
    Erst mit dem Kriege wird es anders. Eine bis dahin vorhandene
    moralische Verschüchterung, eine überängstliche Pietät fällt dahin;
    es handelt sich ja um ganz andere Gewichte und Perspektiven. Eine
    noch gar nicht gehobene innere Weit, eher unheimlich als idyllisch,
    beginnt sich zu regen. Die übermenschlichen Depressionen und
    Angstschreie der Kriegsjahre finden in Hesse eine unsägliche
    Resonanz. Die Greuelrealistik drängt sich so unerbittlich auf, daß sie
    den Musiker in Hesse wachzurütteln vermag. Aber noch »Demian« ist
    tief in die Schatten verliebt und mehr ein Werk medialer und
    symbolistischer Prägung als eine greifbare Inkarnation. Erst im
    Tessin (mit den Publikationen von 1919 beginnend) löst sich die
    Abwesenheit auch in den Werken. Jetzt in den Jahren der Inflation,
    wo alles Feste zerfällt und in Luft aufgeht, meldet sich der
    »Camenzind« wieder. Jetzt erst wird die besondere Art der
    Gegenständlichkeit Hesses vernehmbar.
    Man vergleiche den »Siddhartha«, wo der Camenzind-Realismus
    knapp und männlich, mit religiösem Akzent auftritt: »Einen Stein
    kann ich lieben, Gowinda, und auch einen Baum oder ein Stück
    Rinde. Das sind Dinge, und Dinge kann man lieben. Worte aber kann
    ich nicht lieben. Darum sind Lehren nichts für mich, sie haben keine
    Härte, keine Weiche, keine Farben, keine Kanten, keinen Geruch,
    keinen Geschmack, sie haben nichts als Worte. Es gibt kein Ding, das
    Nirwana wäre; es gibt nur das Wort Nirwana.« Das ist die alte
    Kampfansage gegen schöne Tiraden und modisches Zungenreden.
    Das ist ein Versuch, die Frömmigkeit ganz an die Sinnenbilder zu
    heften.
    Und man vergleiche den »Kurgast«, wo dieselbe Sprache
    leidenschaftlich aggressiv wird:
    »Wie, also auch die Kurgäste sind für Sie keine Wirklichkeit? Also
    zum Beispiel ich, der Mann, der mit Ihnen redet, soll keine
    Wirklichkeit sein?«

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    »Es tut mir leid, ich möchte Sie gewiß nicht verletzen, aber in der Tat
    sind Sie für mich ohne Wirklichkeit. Sie sind, wie Sie sich mir
    darstellen, ohne jene überzeugenden Züge, die uns das
    Wahrgenommene zum Erlebten, das Geschehen zur Wirklichkeit
    machen. Sie existieren, mein Herr, dies kann ich nicht bestreiten. Sie
    existieren aber auf einer Ebene, welche einer zeitlich-räumlichen
    Wirklichkeit in meinen Augen ermangelt. Sie existieren, möchte ich
    sagen, auf einer Ebene des Papiers, des Geldes und Kredits, der
    Moral, der Gesetze, des Geistes, der Achtbarkeit. Sie sind ein Raum-
    und Zeitgenosse der Tugend, des kategorischen Imperativs und der
    Vernunft, und vielleicht sind Sie sogar mit dem Ding an sich oder
    dem Kapitalismus verwandt. Aber Sie haben nicht die Wirklichkeit,
    die mich bei jedem Stein oder Baum, bei jeder Kröte, bei jedem
    Vogel unmittelbar überzeugt... ich kann Sie anzweifeln oder gelten
    lassen, aber es ist mir unmöglich, Sie zu erleben, es ist mir
    unmöglich, Sie zu lieben...«
    Da ist er schon, der Bildungsgegensatz, und ist ein Kampf auf Tod
    und Leben. Die kreatürliche Welt des Dichters gegen die
    fadenscheinige Zutat; gegen die mechanisierte Welt der Kesselringe
    in allen ihren Bezügen. Von hier zu den anarchistischen
    Abendunterhaltungen des »Steppenwolf« ist nur ein kleiner Schritt.
    Er ist ausgefüllt mit immer bewußterer Neugierde für den
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