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Hermann Hesse: Das Leben des Glasperlenspielers (German Edition)

Hermann Hesse: Das Leben des Glasperlenspielers (German Edition)

Titel: Hermann Hesse: Das Leben des Glasperlenspielers (German Edition)
Autoren: Heimo Schwilk
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Hesse steigert sich in ihrer Verzweiflung in die Vorstellung, Hermann könnte in einem der Seen um Maulbronn ertrunken sein, was für die Pietistin offenbar leichter zu ertragen ist als der Gedanke, ihr Sohn habe der Familie durch seine Flucht Schande gemacht. Am Morgen des 8. März bittet Marie Hesse ihren Bruder Friedrich, nach Maulbronn zu reisen, um eigene Nachforschungen anzustellen, doch schon um 12 Uhr 15 trifft ein Telegramm mit der Nachricht ein, Hermann sei »wohlbehalten zurück« 8 .
    Erschöpft und fast erfroren hat Hermann sich auf den Rückweg gemacht. Über Freudenstein und Diefenbach kommt er ins nördlich von Maulbronn gelegene Dörfchen Zaisersweiher; dort trifft er auf einen Gendarmen, den er fragt, wohin es denn nach Maulbronn geht? Als der Mann ihm den Weg nach Süden weist, dreht Hermann sich trotzig auf dem Absatz um und marschiert in die entgegengesetzte Richtung. Doch der erfahrene Polizist hat gleich bemerkt, dass es sich bei diesem seltsamen Wandersmann um den entlaufenen Seminaristen handeln muss, über dessen Verschwinden die Gendarmerien der Umgebung schon seit dem Vorabend informiert sind. Höflich, aber bestimmt bietet ihm der Beamte an, ihn nach dem gesuchten Ort zu begleiten, und Hermann willigt ein. Als die beiden das Klostertor erreichen, kommt ihnen bereits Repetent Mettler entgegen, um den Ausreißer in Empfang zu nehmen. Inzwischen ist auch Hermanns Onkel Friedrich im Seminar eingetroffen und findet einen vor Kälte zitternden, schweigsamen Neffen vor. Hermann weiß, dass er in den kommenden Tagen durch die Mühle gedreht werden wird, es warten Verhöre, Zurechtweisungen, Strafen, vielleicht sogar die Relegation von der Schule auf ihn. Aber er wird nichts widerrufen, denn es gibt nichts zu bereuen. Was er getan hat, musste er tun, und er würde es gegebenenfalls wieder tun, wenn ihm danach ist.
    Schon am 9. März trifft ein langer Brief seines Vaters ein. Er hat den eigentlichen Grund für das Abenteuer seines Sohnes sofort begriffen: »Du hast so viel privatim gelesen, seit Du in Maulbronn bist, soviel mit deutscher Literatur und auch mit eigenem Dichten Dich beschäftigt, daß wir nicht glauben können, es sei Dir genug Zeit und innere Kraft geblieben für die eigentliche Arbeit.« 9 Für Johannes Hesse ist das Schreiben von Poesie eine Form der Selbstherrlichkeit, die Hermann von seiner eigentlichen Bestimmung, dem Pfarrberuf, ablenkt. Er legt ihm nahe, vor allem die zehn Gebote an sich zu prüfen und dabei besonders das erste zu beachten, das den »Götzendienst« um das eigene Ich verbiete. Er trifft damit ins Herz seines Sohnes, der eben begonnen hat, dem Eigenen, seinem Selbst auf die Spur zu kommen. Hermann müsse sich prüfen, so der Vater weiter, ob er sich selbst tatsächlich für das Wichtigste halte, denn das gehe auf Kosten seiner Mitmenschen. Noch deutlicher ist sein Verweis auf das Gebot, Vater und Mutter zu ehren, denn hier drohe der Verlust des Heils. Der Brief endet mit dem biblisch anmutenden Satz: »Ich sage Dir: Beim Heiland hat mans gut. Probier es mit Ihm.« 10
    Die freundliche Diktion kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier die Autorität mit der Macht des Gesetzes droht. Doch Hermann lenkt erst einmal ein und dankt seinem Vater dafür, dass man ihm trotz seines Vergehens Verständnis entgegenbringt. »Bitte liebt mich noch wie vorher« 11 , schreibt er in seinem kleinlauten Antwortbriefchen. Er spürt, dass dieser Konflikt noch nicht ausgestanden ist. Nur zwei Tage später erhält Hermann einen weiteren Brief, in dem Johannes Hesse ihm seine Lesart elterlicher Liebe mitteilt: »Liebe ist Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach Übereinstimmung. Uns verlangt danach, mit Dir eins zu werden.« Dieses Einswerden sei aber an Bedingungen geknüpft, die Hermann erfüllen müsse, um dieser Liebe teilhaftig zu werden: » Unser höchster Lebenszweck ist, Gott zu gefallen und Ihm in Seinem Reich zu dienen. Wenn das auch Dein Lebenszweck geworden ist, dann haben wir Gemeinschaft untereinander, dann ist alles Licht, Liebe und Freiheit.« 12 Nur durch »Selbstüberwindung« könne Hermann »ein gehorsamer Sohn sein«.
    Verfehlt diese pietistisch verengte Auffassung nicht das Wesen wahrer Liebe, die den anderen auch in seiner Andersartigkeit annimmt und gerade in diesem Hinnehmen des Gegensätzlichen ihre Selbstlosigkeit beweist? Hermann täuscht sich nicht über die Kompromisslosigkeit dieser Haltung, die nur die engen Grenzen christlicher Tugend gelten lässt
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