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Hermann Hesse: Das Leben des Glasperlenspielers (German Edition)

Hermann Hesse: Das Leben des Glasperlenspielers (German Edition)

Titel: Hermann Hesse: Das Leben des Glasperlenspielers (German Edition)
Autoren: Heimo Schwilk
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und in der kein Platz ist für die Freiheit der Anschauung und der Kunst; aber noch ist er zu schwach und erschöpft, um sich dagegen aufzulehnen. Dafür lobt er dem Vater gegenüber die verständnisvolle Art, mit der die Schulleitung auf den Fluchtversuch reagiert hat: Trotz der Schwere des Verstoßes ist ihm die eher milde Strafe von acht Stunden Karzer bei Wasser und Brot auferlegt worden. Man habe ihm auch die verhassten Geigenstunden bei Musiklehrer Haasis erlassen, berichtet er mit einem Anflug von Schadenfreude, denn kurz zuvor hatte Johannes Hesse seinen Sohn noch brieflich ermahnt, auch Unangenehmes zu ertragen, weil es »Gott will « 13 . Hermann darf in seiner beheizten Zelle Homer lesen und schreibt in einem erstaunlich gefassten, fast kühlen Brief am 12. März an seine Eltern: »Professor Paulus und auch die beiden Herrn Repetenten behandeln mich sehr schonend und rücksichtsvoll.« In einem Gedicht, das er im Karzer zu Papier bringt, klingt das allerdings viel melodramatischer:
Kennst Du das Land, wo keine Blumen blühen,
Den finstern Kerker, den kein Gott besucht?
O wehe dem, der dahin musste ziehen,
O Hundeloch, sei tausendmal verflucht! 14
    Die Parodie auf Goethes Mignon-Lied ist natürlich mit Blick auf die Kameraden geschrieben, die sehen sollen, über welch literarischen Witz er noch immer verfügt.
    Die Tage in Maulbronn sind für Hermann gezählt. Trotz ihres Wohlwollens sind die Lehrer zu der Überzeugung gelangt, dass dem Seminaristen Hesse die »Fähigkeit fehlt, sich selbst in Zucht zu halten und seinen Geist und sein Gemüt in die Schranken einzufügen, welche für sein Alter und für eine erfolgreiche Erziehung in einem Seminar notwendig sind«. Mit seinen »überspannten Gedanken« und »übertriebenen Gefühlen« könne er leicht zur Gefahr für seine Kameraden werden, heißt es im Protokoll des Lehrerkonvents. 15 Wenige Tage später erschreckt Hermann seine Eltern mit einem Bericht, der tiefe Depression, ja Lebensmüdigkeit ausdrückt. Auslöser ist der Rückzug seines Freundes Wilhelm Lang, dem seine Eltern den Kontakt zu ihm verbieten. Er habe den Menschen verloren, schreibt Hermann nach Hause, den er mehr liebe als alle. Er wisse nun nicht, wofür es sich noch zu leben lohne.
    Dass der Verlust des besten Freundes das endgültige Ende seiner Maulbronner Schulzeit ankündigt, wird Hermann erst Wochen später begreifen, als ein neuerlicher Vorfall die Schulleitung alarmiert. Inzwischen ist er von einem vierwöchigen Zwangsurlaub ins Seminar zurückgekehrt. Auch in Calw fühlte er sich elend; bei der Explosion eines selbst gebastelten Feuerwerkskörpers hat er sich an den Augen verletzt und kehrt am 23. April wenig motiviert nach Maulbronn zurück. Wieder machen ihm rasende Kopfschmerzen zu schaffen, und in Briefen redet er seine Eltern überraschend mit »Sie« an. Fast täglich gerät er jetzt mit seinen Kameraden aneinander. Seit seinem »Geniereisle«, wie Großvater Gundert die Eskapade seines Enkels ironisch nennt, fühlt er sich seinen Mitschülern haushoch überlegen. Auch wenn er ins Kloster zurückgekehrt ist, so hat er in diesen 23 Stunden Abwesenheit doch auch eine Art Initiation erfahren, einen Sprung gewagt, seinen Willen erprobt und tief in den Abgrund der Einsamkeit geschaut, die ihn keineswegs erschreckt. So kommt ihm der Biedersinn seiner angepassten, verbissen um die schulische Rangordnung kämpfenden Kameraden immer lächerlicher vor. Schnell werden aus harmlosen Unterhaltungen aggressive Streitgespräche, die bedrohlich eskalieren. Hermann stellt alles infrage, was zur religiösen Welt des evangelischen Seminars gehört: Es gebe keinen Himmel und keine Hölle, das Jenseits sei ein Ort glücklicher Geister, eine Art Elysium, wo die Seelen der Verstorbenen ohne Zwang miteinander verkehrten. Zwar glaube er an das Göttliche, aber es gebe kein echtes Verhältnis zwischen Gott und den Menschen. Beten, die Zwiesprache mit Gott, sei sinnlos. Hermann stellt den Selbstmord als legitimes Freiheitsrecht dar und will nicht einsehen, dass ein Geschöpf Gottes damit eine schwere Sünde begeht. Seinem Tisch- und Bettnachbarn, dem Stuttgarter Professorensohn Otto Hartmann, droht er sogar mit Mord, denn nur solch eine radikale Tat könne ihn von seiner lähmenden Schwermut befreien, trumpft er in pubertärem, provozierendem Überschwang auf. Eine ganze Reihe von Vätern äußert dem Ephorus, dem Maulbronner Seminarleiter, und der Familie Hesse gegenüber die Sorge, Hermanns
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