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Hercule Poirots Weihnachten

Hercule Poirots Weihnachten

Titel: Hercule Poirots Weihnachten
Autoren: Agatha Christie
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stehen sehen, nicht wahr? Sie haben merklich gezögert und Farr dabei angesehen, ehe Sie aussagten, es sei eine Frau gewesen. Sie haben Farr gesehen und wollten ihn nicht verraten!»
    Hier fiel Hilda Lees dunkle Stimme ein.
    «Nein, Sie irren sich. Mich hat Pilar dort gesehen.»
    «Sie, Madame?», fragte Poirot. «Eigentlich dachte ich es mir…»
    «Selbsterhaltungstrieb ist etwas Merkwürdiges», fuhr sie ruhig fort. «Ich hätte nie gedacht, dass ich so feig sein könnte, aber ich schwieg, weil ich Angst hatte. Ich war mit David im Musikzimmer. Er spielte, aber er war in keiner guten Stimmung. Ich fühlte mich dafür verantwortlich, weil ich es war, die ihn zum Herkommen überredet hatte. David spielte die ersten Akkorde des Trauermarsches, und da fasste ich plötzlich einen Entschluss. So seltsam es Ihnen auch vorkommen mag – ich beschloss, dass wir abreisen würden, sofort, noch in jener Nacht. Ich schlich mich aus dem Zimmer und die Treppe hinauf, um dem alten Herrn ganz genau auseinander zu setzen, warum wir gehen wollten. Ich ging durch den Korridor und klopfte an seine Tür. Keine Antwort. Ich klopfte noch einmal, ein wenig lauter. Wieder keine Antwort. Dann drückte ich die Klinke nieder, doch die Tür war abgeschlossen. Und während ich dort stand, hörte ich einen Laut im Inneren –»
    Sie unterbrach sich.
    «Sie werden mir nicht glauben, aber es ist die Wahrheit! Jemand war in dem Zimmer! Jemand griff Mr Lee an! Ich hörte Tische und Stühle umfallen, Glas und Porzellan zersplittern, und dann hörte ich jenen letzten, grauenvollen Schrei, der langsam erstarb. Und dann nichts mehr – Stille. Ich stand dort wie gelähmt. Ich hätte mich nicht rühren können. Dann kam Mr Farr gelaufen, dann Magdalene und all die anderen, und Mr Farr und Harry brachen die Tür auf. Wir traten ein, und es war niemand drin – außer Mr Lee, der in einer Blutlache lag.»
    Plötzlich schrie sie: «Es war niemand in dem Zimmer, niemand, verstehen Sie! Und es war niemand herausgekommen!»
    Inspektor Sugden holte tief Atem. Dann sagte er:
    «Entweder werde ich verrückt, oder alle anderen sind es. Was Sie da eben erzählt haben, Mrs Lee, ist ganz einfach unmöglich! Wahnsinn!»
    «Aber ich sage es Ihnen doch, dass ich den Kampf hörte!», rief Hilda Lee. «Und dass ich den alten Mann schreien hörte, als ihm die Kehle durchgeschnitten wurde! Und niemand kam aus dem Zimmer, und niemand war drinnen!»
    «Und über all das haben Sie geschwiegen», sagte Poirot.
    «Ja.» Hilda war sehr blass, aber sie schien sich gefasst zu haben. «Denn wenn ich Ihnen diese Situation geschildert hätte, dann wären Sie bestimmt zum Schluss gelangt, ich hätte den alten Mann ermordet…»
    Poirot schüttelte abwehrend den Kopf.
    «Nein, Sie haben ihn nicht umgebracht. Sein Sohn hat ihn getötet.»
    Stephen Farr fuhr auf. «Ich schwöre vor Gott, dass ich ihn nicht angerührt habe!»
    «Nicht Sie», sagte Poirot. «Er hatte andere Söhne.»
    «Was zum Teufel –», stieß Harry hervor.
    George starrte vor sich hin. David bedeckte die Augen mit der Hand, und Alfred zwinkerte nervös. Poirot fuhr fort:
    «Am ersten Abend, den ich in diesem Haus verbrachte, also am Abend des Mordes, sah ich einen Geist. Den Geist des toten Mannes. Als ich Harry Lee zum ersten Mal begegnete, war ich sehr erstaunt. Mir war, als hätte ich ihn schon irgendwo gesehen. Dann realisierte ich, wie ähnlich er seinem Vater sah. Diese Ähnlichkeit, sagte ich mir, hatte mich wohl dazu verführt, in seinen Gesichtszügen etwas Vertrautes wieder zu finden.
    Aber gestern warf ein Mann, der mir gegenübersaß, lachend seinen Kopf zurück – und da wusste ich plötzlich, an wen Harry Lee mich erinnert hatte. Und wieder fand ich in einem Gesicht die Züge des toten Mannes.
    Kein Wunder, dass der arme alte Tressilian seinen Augen nicht mehr traute, nachdem er drei Männern, die sich ungemein ähnlich sahen, nacheinander die Tür geöffnet hatte. Kein Wunder, dass er klagte, die Personen zu verwechseln, wenn drei Männer in diesem Hause herumgingen, die auf geringe Entfernung kaum zu unterscheiden waren. Die gleiche Figur, die gleichen Bewegungen – vor allem diejenige, sich mit dem Zeigefinger übers Kinn zu fahren –, die gleiche Gewohnheit, beim Lachen den Kopf zurückzuwerfen, und die gleiche lange, schmale Nase! Doch trat diese große Ähnlichkeit nicht immer deutlich hervor, denn der dritte Mann hatte einen Schnurrbart!»
    Hercule Poirot richtete sich auf.
    «Man vergisst
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