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Hercule Poirots Weihnachten

Hercule Poirots Weihnachten

Titel: Hercule Poirots Weihnachten
Autoren: Agatha Christie
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seinen geliebten Vater umgebracht haben kann? Wir saßen nämlich beide zusammen im Speisezimmer, als der Schrei ertönte.»
    «Das ist denkbar einfach! Ein Alibi erscheint immer glaubwürdiger, wenn es fast widerwillig bestätigt wird. Sie und Ihr Bruder verstehen sich nicht gut. Das ist allgemein bekannt. Sie machen ihn in aller Öffentlichkeit lächerlich, und er hat kein gutes Wort für Sie. Aber nehmen Sie einmal an, dass wir Zeugen eines raffinierten Komplotts gewesen sind. Dass Alfred Lee es satt bekommen hat, immer noch nach dem Taktstock eines anderen zu tanzen. Nehmen wir an, dass Sie sich vor einiger Zeit mit Ihrem Bruder getroffen haben und dass bei dieser Zusammenkunft ein Plan festgelegt wurde. Sie kommen nach Hause zurück. Alfred scheint darüber sehr erbost. Er ist eifersüchtig auf Sie und kann Sie offensichtlich nicht ausstehen. Sie wiederum verachten ihn. Und dann bricht endlich der Mordabend an, den Sie so genau geplant hatten. Einer von Ihnen bleibt im Speisezimmer und redet laut, um den Anschein zu erwecken, dass zwei Personen miteinander stritten. Der andere aber schleicht die Treppe hoch und begeht den Mord…»
    Alfred sprang auf. «Sie Teufel!», keuchte er.
    Sugden sah Poirot an. «Glauben Sie wirklich, dass…»
    Poirot erhob seine Stimme und sagte: «Ich musste Ihnen die Möglichkeiten zeigen! So hätten sich die Dinge abspielen können. Wie sie sich in Wirklichkeit abgespielt haben, das können wir nur herausfinden, indem wir vom äußeren Schein zur inneren Realität gelangen…»
    Er sah eine Weile nachdenklich vor sich hin.
    «Wir müssen, wie ich schon einmal sagte, auf den Charakter von Simeon Lee zurückkommen…»
     
    Es entstand eine Stille. Alle Empörung, der erregte Widerspruch und der glimmende Hass schienen sich wundersamerweise gelegt zu haben. Aller Augen waren gespannt auf Poirot gerichtet, als er zu sprechen begann.
    «Darin liegt der Schlüssel zu diesem ganzen Geheimnis. Wir müssen uns tief in Simeon Lees Fühlen und Denken vergraben und sehen, was wir dort finden. Denn ein Mensch lebt und stirbt nicht unabhängig von seiner Umgebung. Was in ihm liegt, gibt er denen weiter, die nach ihm kommen…
    Was hatte nun Simeon Lee seinen Söhnen und Töchtern zu vererben? Stolz, zum Beispiel – jenen Stolz, in welchem er selber sich getroffen fühlte, weil seine Kinder ihn enttäuschten. Ferner Geduld – ein waches Wartenkönnen. Wir haben erfahren, dass Simeon Lee oft jahrelang geduldig wartete, ehe er sich für ein Unrecht rächte. Diesen Charakterzug hat derjenige seiner Söhne in hohem Maße geerbt, der ihm äußerlich am wenigsten zu gleichen scheint. David Lee konnte jahrelang nicht vergessen und Hass in seinem Herzen nähren. Rein äußerlich gleicht Harry Lee seinem Vater am meisten. Das fällt einem besonders dann auf, wenn man ein Bild von Simeon Lee aus seinen jungen Jahren betrachtet: die gleiche schmale Nase, das gleiche scharfe Profil und die gleiche Art, den Kopf hoch zu tragen. Und noch andere äußere Eigentümlichkeiten mag Harry von seinem Vater geerbt haben. So zum Beispiel die Art, wie er sich manchmal mit dem Zeigefinger übers Kinn fährt und wie er beim Lachen den Kopf zurückwirft.
    Nachdem ich all diese Dinge beobachtet hatte und von der Überzeugung ausgehend, dass dieser Mord von jemandem begangen wurde, der mit dem alten Herrn in enger Verbindung stand, begann ich die einzelnen Familienmitglieder vom psychologischen Standpunkt aus zu studieren. Das heißt, ich versuchte herauszufinden, wer von ihnen nach psychologischen Gesichtspunkten ein Verbrecher sein könnte. Und wie ich die Dinge beurteilte, traf das nur auf zwei Personen zu, nämlich auf Alfred Lee und Hilda Lee. David schloss ich als möglichen Täter aus. Ich glaube nicht, dass ein Mensch von seiner überempfindsamen Veranlagung diesen grausigen, blutigen Mord hätte verüben können. Auch George Lee und seine Frau schloss ich von vornherein aus. Was immer sie sich wünschen mögen – sie hätten nicht den Mut, ein Risiko auf sich zu nehmen, dazu sind sie beide zu vorsichtig. Mrs Lydia Lee ist meiner Ansicht nach unfähig, gewalttätig zu werden. Davor bewahrt sie ihre ironische Art. Bezüglich Harry Lee war ich erst unsicher. Seine äußere Erscheinung lässt wohl auf eine ungebändigte, wilde Kraft schließen, und trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass dieses Kraftmeiertum eigentlich Fassade sei und Harry Lee im Grunde genommen ein Schwächling. Das war übrigens, wie ich
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