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Hercule Poirots Weihnachten

Hercule Poirots Weihnachten

Titel: Hercule Poirots Weihnachten
Autoren: Agatha Christie
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hörte, auch die Ansicht seines Vaters, der von ihm sagte, Harry sei auch nicht mehr wert als seine übrigen Kinder.
    Somit blieben mir also nur die beiden erwähnten Namen. Alfred Lee ist ein Mensch, der großer Hingabe und Selbstlosigkeit fähig ist. Er hatte sich viele Jahre lang immer dem Willen eines anderen beugen müssen. Solche fortgesetzte Unterdrückung kann sehr leicht zu einem Ausbruch führen. Außerdem mochte Alfred im Laufe dieser vielen Jahre manchen geheimen Groll gegen seinen Vater in sich verschlossen haben, obwohl er nie etwas davon sagte. Gerade die ruhigsten und sanftesten Menschen sind oft einer plötzlichen und unerwarteten Heftigkeit fähig, aus dem einfachen Grund, weil, wenn einmal etwas in ihnen einschnappt, es ganz und unwiderruflich einschnappt! Die andere Person, die in meinen Augen möglicherweise die Tat begangen haben konnte, war Hilda Lee. Sie ist der Typ, der gewohnt ist, ruhig abzuwägen, aber unter Umständen auch zu richten und zu strafen – wenn auch ganz gewiss nie aus selbstsüchtigen Beweggründen. Im Alten Testament finden wir zum Beispiel Jael und Judith.
    Nach all diesen Überlegungen ging ich daran, die genauen Umstände des Verbrechens zu überprüfen, die äußerst ungewöhnlichen Umstände, unter welchen dieser Mord begangen wurde. Bitte, versetzen Sie sich wieder zurück in das Zimmer, in dem Simeon Lee tot auf dem Boden lag. Wenn Sie sich erinnern, dann lagen ein schwerer Tisch und ein ebenso schwerer Stuhl umgestürzt da, eine Lampe, Fayencen, Gläser usw. waren zersplittert. Aber Tisch und Stuhl waren besonders merkwürdig. Es waren massive Mahagonimöbel. Es ist schwer, sich vorzustellen, wie ein Streit zwischen dem gebrechlichen alten Herrn und seinem Gegner dazu geführt haben sollte, solche schwere Möbel über den Haufen zu werfen. Die ganze Sache kam mir unwirklich vor. Andererseits hätte niemand, der klar bei Sinnen war, dieses Durcheinander absichtlich arrangiert – es wäre denn, dass Simeon Lee von einem starken Mann getötet worden war und diese Zerstörungen vortäuschen sollten, dass der Angreifer körperlich schwach oder eine Frau gewesen sei.
    Aber diese Vorstellung vermochte mich nicht zu überzeugen. Denn der Lärm der umstürzenden Möbel musste im Haus gehört werden, wie ein Alarm wirken und dem Täter kaum mehr Zeit lassen, das Zimmer ungesehen zu verlassen. Es konnte doch nur im Interesse des Mörders liegen, Simeon Lee die Kehle so lautlos wie nur möglich durchzuschneiden.
    Ein weiterer unklarer Punkt war, dass der Schlüssel im Schloss umgedreht worden war. Auch das kam mir vollkommen überflüssig vor. Einen Selbstmord konnte man damit nicht gut vortäuschen wollen, denn nichts an diesem Tod ließ an einen Selbstmord glauben. Auch eine Flucht durch das Fenster konnte nicht glaubhaft gemacht werden, weil die Fenster alle geschlossen oder fixiert waren, so dass eine Flucht ganz unmöglich war. Und auch hierfür hätte der Mörder Zeit gebraucht! Und noch etwas war unbegreiflich: ein kleines Stück Gummi und ein kleiner Holznagel, die Inspektor Sugden mir zeigte. Der Gummi stammt von einer Toilettentasche Simeon Lees. Diese beiden Gegenstände wurden von einer Person vom Boden des Mordzimmers aufgehoben, die als eine der ersten den Raum betrat. Auch hier gilt wieder, was ich schon sagte: sinnlos! Nichts hatte irgendeine klare Bedeutung. Und trotzdem waren diese Dinge am Tatort gefunden worden. Dieses Verbrechen wurde immer undurchdringlicher. Es lag keine Methode darin, keine Ordnung – enfin, es war vollkommen unbegreiflich.
    Und schon tauchte eine neue Schwierigkeit auf: Der alte Herr hatte Inspektor Sugden zu sich kommen lassen, um ihm einen Diebstahl zu melden. Dann hatte er ihn gebeten, in eineinhalb Stunden zurückzukommen. Warum? Warum? Wenn Simeon Lee jemanden seiner Familie verdächtigte, warum bat er dann Inspektor Sugden nicht, in der Halle unten zu warten, während er selber den Verdächtigen seine Vorhaltungen, machte? Die Anwesenheit eines Polizeibeamten im Haus hätte doch den Schuldigen bestimmt eingeschüchtert. Und das war der Augenblick, wo mir nicht nur das Verhalten des Mörders, sondern auch dasjenige des Opfers unverständlich wurde!
    Und da sagte ich mir, dass wir die Dinge von einem ganz falschen Standpunkt aus betrachteten, und zwar genau von dem Standpunkt aus, den der Mörder uns suggerieren will!
    Drei Sachen ergeben keinen Sinn: der Kampf, der im Schloss umgedrehte Schlüssel und das Stückchen Gummi. Und
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