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Hercule Poirot schläft nie

Hercule Poirot schläft nie

Titel: Hercule Poirot schläft nie
Autoren: Agatha Christie
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gescheitelten welligen schwarzen Haare und die bescheiden niedergeschlagenen Augen. Er nickte ane r kennend.
    »Kommen Sie nur herein, Mademoiselle Leonie«, sagte er. »Haben Sie keine Angst!«
    Sie kam näher und blieb ernst vor ihm stehen.
    »Wissen Sie«, sagte Poirot in plötzlich völlig verände r tem Ton, »dass Ihr Anblick eine Freude ist?«
    Leonie reagierte sofort. Sie warf ihm aus den Auge n winkeln einen raschen Blick zu und sagte mit leiser Stimme: »Monsieur sind sehr gütig.«
    »Stellen Sie sich vor«, fuhr Poirot fort, »da frage ich Mr Carlile, ob Sie hübsch sind oder nicht, und er antwortet, er wisse es nicht!«
    Leonie reckte verächtlich das Kinn.
    »Dieser Ölgötze!«
    »Das trifft es genau!«
    »Ich glaube, er hat noch nie im Leben ein Mädchen auch nur angesehen.«
    »Wahrscheinlich nicht. Schade. Er hat etwas versäumt. Aber es gibt andere Leute im Haus, die so was mehr zu schätzen wissen, nicht wahr?«
    »Wirklich, ich verstehe nicht, was Monsieur meinen.«
    »O doch, Mademoiselle Leonie, das verstehen Sie sehr gut. Eine hübsche Geschichte, die Sie da gestern Abend über das Gespenst erzählten, das Sie angeblich gesehen haben. Sobald ich hörte, dass Sie dastanden und die Hä n de an den Kopf hielten, war mir klar, dass von einem Gespenst keine Rede sein konnte. Wenn eine Frau Angst hat, fasst sie sich ans Herz oder presst die Hände vor den Mund, um einen Schrei zu ersticken, wenn sie jedoch mit den Händen an ihr Haar fasst, so bedeutet das etwas ganz anderes. Es bedeutet, dass ihre Frisur zerzaust ist und sie sie hastig wieder in Ordnung bringen will! Nun, Mad e moiselle, die Wahrheit bitte! Warum haben Sie auf der Treppe geschrien?«
    »Aber, Monsieur, es ist wahr, ich habe eine Gestalt in Weiß gesehen…«
    »Mademoiselle, beleidigen Sie nicht meine Intelligenz! Ihre Geschichte mag für Mr Carlile gut genug sein, aber sie ist nicht gut genug für Hercule Poirot. Die Wahrheit ist, dass Sie gerade einen Kuss bekommen hatten, nicht wahr? Und wenn ich es richtig errate, war es Mr Reggie Carrington, der Sie geküsst hat.«
    Leonie blinzelte ihm zu.
    »Eh bien«, sagte sie schnippisch, »was ist schließlich schon ein Kuss?«
    »Eben«, entgegnete Poirot ritterlich.
    »Sehen Sie, der junge Herr stand plötzlich hinter mir und fasste mich um die Taille – natürlich hat er mich d a mit erschreckt, und ich schrie. Wenn ich gewusst hätte – na ja, klar, dass ich dann nicht geschrien hätte.«
    »Klar«, stimmte Poirot zu.
    »Er schlich sich an wie eine Katze. Und dann ging die Tür zum Arbeitszimmer auf, und heraus kam Monsieur le Secrétaire, und der junge Herr verschwand nach oben, und ich stand mit dummem Gesicht da. Natürlich musste ich etwas sagen – vor allem, weil…« Sie verfiel ins Französ i sche, »un jeune homme comme ça, tellement comme il faut!«
    »Also erfanden Sie ein Gespenst.«
    »Ja, Monsieur, etwas anderes ist mir nicht eingefallen. Eine große Gestalt in Weiß, die durch die Luft schwebte. Es ist lächerlich, aber was sollte ich machen?«
    »Nichts. Damit ist jetzt alles erklärt. Ich hatte von A n fang an so meinen Verdacht.«
    Leonie warf ihm einen herausfordernden Blick zu.
    »Monsieur sind sehr klug und sehr wohl wollend.«
    »Und da ich Ihnen in dieser Sache keine Schwierigke i ten bereiten werde, würden Sie mir wohl auch einen G e fallen tun?«
    »Sehr gern, Monsieur.«
    »Was wissen Sie über die Angelegenheiten Ihrer He r rin?«
    Das Mädchen zuckte die Achseln.
    »Nicht viel, Monsieur. Ich mache mir natürlich so me i ne Gedanken.«
    »Und die wären?«
    »Na, es fällt mir auf, dass Madames Freunde immer O f fiziere sind, vom Heer oder von der Marine oder von der Luftwaffe. Und dann gibt es noch andere Freunde – au s ländische Herren, die sie manchmal ganz unauffällig b e suchen. Madame ist sehr hübsch, wenn auch nicht mehr lange, glaube ich. Die jungen Männer finden sie sehr at t raktiv. Manchmal reden sie dann wohl zu viel. Aber das ist nur so eine Idee von mir. Madame zieht mich nicht ins Vertrauen.«
    »Sie wollen damit zu verstehen geben, dass Madame sich nicht in die Karten schauen lässt?«
    »Das ist richtig, Monsieur.«
    »In anderen Worten, Sie können mir nicht weiterhe l fen.«
    »Ich fürchte, nein, Monsieur. Ich täte es, wenn ich könnte.«
    »Sagen Sie mal, hat Ihre Herrin heute gute Laune?«
    »Unbedingt, Monsieur.«
    »Es ist etwas geschehen, was sie freut?«
    »Sie ist schon so, seit wir herkamen.«
    »Nun, Leonie, Sie
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