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Herbstfeuer

Herbstfeuer

Titel: Herbstfeuer
Autoren: Lisa Kleypas
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behandeln. Seine Stirn glättete sich, und Marcus lenkte sein Pferd über ein paar leichte Hindernisse – eine Hecke, einen Zaun und eine niedrige Mauer – Reiter und Tier in perfekter Harmonie, wie zu einer Einheit verschmolzen.
    „So, Mädchen“, meinte Mrs. Mercedes Bowman und warf von der Türschwelle aus einen strengen Blick auf ihre Töchter. „Ich bestehe darauf, dass ihr mindestens zwei Stunden schlaft, sodass ihr heute Abend frisch seid.
    Gewöhnlich beginnen Lord Westcliffs Dinners erst spät und dauern bis Mitternacht, und ich möchte nicht, dass eine von euch bei Tisch gähnt.“
    „Jawohl, Mutter“, erwiderten beide pflichtschuldig und sahen die Mutter mit unschuldigen Mienen an, von denen diese sich keineswegs täuschen ließ.
    Mrs. Bowman war eine ehrgeizige Frau voll nervöser Energie. Neben ihrer spindeldünnen Erscheinung wirkte noch ein Windhund plump. Ihr eifriges Geplapper drehte sich gewöhnlich um das Hauptziel in ihrem Leben: dafür zu sorgen, dass ihre beiden Töchter sich hervorragend verheirateten. „Auf keinen Fall dürft ihr dieses Zimmer verlassen“, fuhr sie in strengem Ton fort. „Kein Umherschleichen auf Lord Westcliffs Anwesen, keine Abenteuer oder Zusammenkünfte irgendwelcher Art. Tatsächlich beabsichtige ich, die Tür zu verschließen, um sicherzugehen, dass ihr hier bleibt und euch ausruht.“
    „Mutter“, widersprach Lillian, „wenn es einen langweiligeren Ort in der zivilisierten Welt gibt als Stony Cross Park, dann fresse ich einen Besen. In welche Schwierigkeiten könnten wir hier geraten?“
    „Ihr geratet völlig grundlos in Schwierigkeiten“, sagte Mercedes. „Und deswegen werde ich euch beide genau im Auge behalten. Nach eurem Benehmen bei unserem letzten Besuch hier erstaunt es mich, dass wir noch einmal eingeladen wurden.“
    „Mich nicht“, erwiderte Lillian nüchtern. „Jeder weiß doch, dass Westcliff ein Auge auf Vaters Fabrik geworfen hat.“
    „Lord Westcliff“, korrigierte Mercedes sie. „Lillian, du musst mit mehr Respekt von ihm sprechen! Er ist der reichste Adlige in England mit einer Ahnenreihe …“
    „… die länger ist als die der Königin“, mischte sich Daisy mit leierndem Tonfall ein. Sie hatte diese Ansprache schon zahllose Male gehört. „Und er besitzt den ältesten Titel in England, was ihn zu …“
    „… dem begehrtesten Junggesellen in Europa macht“, schloss Lillian und zog dabei spöttisch die Brauen hoch.
    „Vielleicht sogar der ganzen Welt. Mutter, wenn du wirklich hoffst, dass Westcliff eine von uns heiratet, dann bist du verrückt.“
    „Sie ist nicht verrückt“, erklärte Daisy ihrer Schwester. „Sie ist New Yorkerin.“
    Leute wie die Bowmans gab es in New York in steigender Zahl – Aufsteiger, denen es weder gelang, mit den konservativen Knickerbockers noch mit der eleganten Welt zu verschmelzen. Diese neureichen Familien hatten ihre großen Vermögen in Industriezweigen wie Manufakturen oder Minen erworben und wurden dennoch nicht akzeptiert in jenen Kreisen, zu denen sie so gern gehören wollten. Die Einsamkeit und die peinliche Tatsache, von der Gesellschaft in New York so gründlich geschnitten zu werden, hatten Mercedes’ Ehrgeiz angestachelt wie nichts sonst auf der Welt.
    „Wir werden dafür sorgen, dass Lord Westcliff alles über euer unmögliches Verhalten während unseres letzten Besuches vergisst“, verkündete Mercedes ihnen mit finsterer Miene. „Ihr werdet zurückhaltend sein, still und bescheiden – und nichts mehr von dieser Mauerblümchen-Geschichte. Ich möchte, dass ihr euch von dieser skandalösen Annabelle Peyton fernhaltet und auch von dieser anderen, dieser …“
    „Evie Jenner“, sagte Daisy. „Und sie heißt jetzt Annabelle Hunt, Mutter.“
    „Annabelle hat Westcliffs besten Freund geheiratet“, erklärte Lillian. „Mir scheint, das wäre ein ausgezeichneter Grund, sie weiterhin zu treffen, Mutter.“
    „Ich werde darüber nachdenken.“ Mercedes sah ihre Töchter misstrauisch an. „In der Zwischenzeit wünsche ich, dass ihr beide ein ruhiges, ausgiebiges Schläfchen haltet. Ich möchte keinen Ton von euch hören, verstanden?“
    „Jawohl, Mutter“, antworteten die beiden im Chor.
    Die Tür wurde geschlossen und der Schlüssel von außen herumgedreht.
    Die Schwestern sahen einander an und lächelten. „Es ist nur gut, dass sie das mit dem Baseballspiel nie herausgefunden hat“, sagte Lillian.
    „Dann wären wir inzwischen tot“, stimmte Daisy
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