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Herbstfeuer

Herbstfeuer

Titel: Herbstfeuer
Autoren: Lisa Kleypas
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Affären zu Ohren gekommen – und sie hatte auch gehört, dass der äußerlich so korrekte Earl im Schlafgemach durchaus abenteuerlustig war. Aber aus irgendeinem Grund beunruhigte ihren Bruder dieses heißblütige, kühne amerikanische Mädchen mit den ungeschliffenen Manieren und dem neureichen Vermögen. Insgeheim fragte sie sich, ob die Vorliebe der Marsdens für Amerikaner – schließlich war Aline mit einem verheiratet, und sie selbst hatte kürzlich Gideon Shaw das Jawort gegeben, einem der Shaws aus New York – auch für Marcus galt.
    „Sah sie sehr hinreißend aus in ihrer Unterkleidung?“, fragte Livia.
    „Ja“, erwiderte Marcus, ohne nachzudenken, und runzelte dann die Stirn. „Ich meine, nein. Das heißt, ich habe nicht lange genug hingesehen, um ihre Reize beurteilen zu können. Falls sie welche besitzt.“
    Livia biss sich auf die Unterlippe, um sich ein Lachen zu verkneifen. „Komm schon, Marcus – du bist ein gesunder Mann von fünfunddreißig Jahren – und du hast keinen einzigen Blick auf Miss Bowman geworfen, während sie in ihren Unterhosen vor dir stand?“
    „Ich werfe keine Blicke, Livia. Entweder betrachte ich etwas gründlich – oder gar nicht. Kinder oder krankhaft Gestörte werfen Blicke.“
    Sie sah ihn mitleidig an. „Nun, es tut mir leid, dass du so etwas Schreckliches ertragen musstest. Wir können nur hoffen, dass Miss Bowman während ihres Besuchs hier in deiner Gegenwart vollständig bekleidet bleibt, damit deine sensiblen Gefühle nicht wieder verletzt werden.“
    Marcus runzelte die Stirn. „Das bezweifle ich.“
    „Bezweifelst du, dass sie bekleidet bleiben oder dass sie dich schockieren wird?“
    „Das reicht, Livia!“, stieß er hervor, und sie lachte.
    „Komm, wir müssen die Bowmans begrüßen.“
    „Dafür habe ich keine Zeit“, erklärte er knapp. „Begrüße du sie und entschuldige mich.“
    Erstaunt sah Livia ihn an. „Du willst nicht – aber, Marcus, du musst! Noch nie zuvor habe ich dich so unhöflich erlebt!“
    „Ich werde später dafür Buße tun. Um Himmels willen, sie werden fast einen Monat lang hier sein – ich werde reichlich Gelegenheit haben, sie zu beschwichtigen. Bloß hat mich das Gerede über dieses Bowman-Mädchen in eine üble Stimmung versetzt, und gerade jetzt finde ich den Gedanken, mit ihr im selben Zimmer zu sein, unerträglich.“
    Mit leichtem Kopfschütteln sah Livia ihn an, auf eine prüfende Art und Weise, die ihm nicht gefiel. „Hmmm. Ich habe dich schon mit Leuten gesehen, von denen ich weiß, dass du sie nicht mochtest, und es ist dir immer gelungen, höflich zu sein – vor allem, wenn du etwas von ihnen wolltest. Aber aus irgendeinem Grund provoziert dich Miss Bowman ganz besonders. Ich habe schon eine Theorie, was den Grund dafür angeht.“
    „Tatsächlich?“ Aufmerksam sah er sie an.
    „Ich arbeite noch daran. Wenn ich zu einem endgültigen Schluss gekommen bin, werde ich es dich wissen lassen.“
    „Gott stehe mir bei. Geh einfach, Livia, und begrüße die Gäste.“
    „Während du dich hier im Arbeitszimmer verkriechst wie ein gefangener Fuchs?“
    Marcus erhob sich und bedeutete ihr, vor ihm durch die Tür zu gehen. „Ich werde die Hintertür benutzen und zu einem langen Ritt aufbrechen.“
    „Wie lange wirst du fort sein?“
    „Ich werde rechtzeitig zurück sein, um mich zum Essen umzukleiden.“
    Livia seufzte tief. Das Abendessen würde eine großartige Angelegenheit werden. Es war die Einleitung zum ersten Tag des großen Festes, das am nächsten Tag offiziell beginnen würde. Die meisten Gäste waren bereits eingetroffen, und mit den letzten wurde bald gerechnet. „Du solltest nicht zu spät kommen“, warnte sie ihn. „Ich war zwar einverstanden, als deine Hausherrin aufzutreten, aber damals war nicht die Rede davon, dass ich alles allein handhaben sollte.“
    „Ich komme niemals zu spät“, erwiderte Marcus gleichmütig und ging davon mit dem schnellen Schritt eines Mannes, der soeben dem Galgen entronnen war.

2. KAPITEL
    Marcus ritt vom Herrenhaus fort, wobei er den viel benutzten Waldweg hinter den Gärten wählte. Kaum hatte er eine Straße überquert, gab er dem Pferd die Zügel frei, bis sie über Felder mit Mädesüß und von der Sonne getrocknetem Gras galoppierten. Stony Cross Park besaß das beste Land in ganz Hampshire, mit dichten Wäldern, blühenden Wiesen, Torfmooren und goldenen Feldern. Einst war es geschützt als Jagdgebiet der Könige, jetzt gehörte es zu den
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