Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herbstfeuer

Herbstfeuer

Titel: Herbstfeuer
Autoren: Lisa Kleypas
Vom Netzwerk:
Schwelle.
    Lillian bemühte sich, ihr Kleid vorn zusammenzuhalten, während sie zur Treppe eilte. Ihr Herz hämmerte so heftig wie noch nie, und in ihrem Kopf drehte sich alles. Eine so wilde Verzweiflung trieb sie an, dass sie das Gefühl hatte, alles schaffen zu können. Es war, als gehorchte ihr Körper einer fremden Kraft, die sie dazu brachte, geradezu die Treppe hinunterzufliegen.
    Sobald sie unten war, eilte Lillian in den Hauptraum des Gasthauses. Die Menschen unterbrachen ihre Gespräche und drehten sich verwundert zu ihr um. Dann sah sie einen großen Tisch und ein paar Stühle, um den vier oder fünf gut gekleidete Herren herumstanden, und eilte dorthin. „Ich muss den Wirt sprechen“, begann sie ohne jede Begrüßung. „Oder den Verwalter. Irgendjemanden, der mir helfen kann. Ich brauche …“
    Abrupt verstummte sie, als sie hörte, wie ihr Name genannt wurde, und sie drehte sich um und warf einen Blick über die Schulter zurück, voller Angst, dass St. Vincent ihre Flucht bemerkt haben könnte. Sie wappnete sich zum Kampf. Doch er war nirgends zu sehen.
    Da hörte sie wieder die Stimme, deren tiefer Klang direkt in ihre Seele zu dringen schien. „Lillian.“
    Ihre Beine begannen zu zittern, als sie einen muskulösen, dunkelhaarigen Mann vom Eingang her auf sich zukommen sah. Das kann nicht sein, dachte sie und blinzelte heftig, anscheinend spielt meine Wahrnehmung mir einen Streich. Sie drehte sich um und wollte ihm entgegengehen, stolperte aber. „Westcliff“, flüsterte sie und machte ein paar unbeholfene Schritte nach vorn.
    Der ganze Raum schien um sie herum zu verschwinden. Unter seiner Sonnenbräune sah Marcus blass aus, und er sah sie an, als fürchtete er, sie würde gleich vor seinen Augen verschwinden. Dann ging er schneller, und beinah bevor er bei ihr war, packte er sie und hielt sie fest. Er legte die Arme um sie und zog sie ganz eng an sich. „Mein Gott“, flüsterte er und presste sein Gesicht in ihr Haar.
    „Du bist gekommen“, stieß sie hervor, inzwischen zitterte sie am ganzen Körper. „Du hast mich gefunden.“ Sie begriff nicht, wie das möglich gewesen war. Er roch nach Schweiß und nach Pferden, und seine Kleidung war kalt von der Luft draußen. Als er fühlte, wie heftig sie zitterte, zog Marcus sie in seinen Mantel hinein, wobei er ohne Unterlass Koseworte murmelte.
    „Marcus“, sagte Lillian. „Habe ich den Verstand verloren? Oh, wie sehr ich hoffe, dass du wirklich hier bist! Bitte geh nicht fort …“
    „Ich bin hier.“ Er sprach leise, und seine Stimme bebte. „Ich bin hier, und ich gehe nirgendwohin.“ Er trat ein Stück weit zurück und musterte sie von Kopf bis Fuß. „Meine Liebste, mein … bist du verletzt?“ Prüfend ließ er eine Hand an ihrem Arm hinuntergleiten, ertastete die Handschellen. Er hob ihre Hand und sah sie ausdruckslos an.
    Schließlich holte er tief Luft, bebend vor Wut. „Ich werde ihn zur Hölle schicken …“
    „Es geht mir gut“, beeilte sich Lillian zu versichern. „Ich bin nicht verletzt.“
    Marcus hob ihre Hand an seine Lippen und küsste sie. Ohne sie loszulassen, fragte er: „Lillian, hat er …“
    An seinen Augen sah sie, was er wissen wollte und nicht auszusprechen vermochte. „Nein, es ist nichts passiert. Es war keine Zeit dazu.“
    „Ich werde ihn trotzdem umbringen.“ In seiner Stimme schwang ein Unterton mit, der ihr die Haare zu Berge stehen ließ. Dann bemerkte er, dass ihr Kleid geöffnet war, und er ließ sie gerade so lange los, wie er brauchte, um seinen Überrock auszuziehen und ihr über die Schulter zu legen. Plötzlich hielt er inne. „Dieser Geruch – was ist das?“
    Lillian verstand, dass das Betäubungsmittel noch an ihrer Haut und ihren Kleidern haftete, und zögerte mit der Antwort. „Äther“, sagte sie schließlich und versuchte, ein beruhigendes Lächeln zustande zu bringen, sobald sie den Ausdruck in seinen Augen sah. „Es war nicht schlimm, wirklich nicht. Den größten Teil des Tages habe ich verschlafen. Abgesehen von etwas Übelkeit, geht es …“
    Noch einmal zog er sie an sich. „Es tut mir leid. Es tut mir so leid. Lillian, meine süße Geliebte – jetzt bist du in Sicherheit. Ich werde nicht zulassen, dass dir jemals wieder etwas zustößt. Das schwöre ich bei meinem Leben. Du bist in Sicherheit.“ Er umfasste ihr Gesicht und küsste sie, sanft und nur kurz und doch so eindringlich, dass ihr beinahe schwindelig wurde. Sie schloss die Augen und gestattete
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher