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Henker-Beichte

Henker-Beichte

Titel: Henker-Beichte
Autoren: Jason Dark
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Während der Kaffee lief, ging er in den Flur und hämmerte an die Wohnungstür.
    Die beiden kannten das Signal. Sehr schnell wurde ihm geöffnet. Zwei müde Augen starrten ihn an.
    »Habt ihr noch was übrig?«
    »Ja.« Normalerweise wäre die Frau verschwunden, das tat sie an diesem Morgen nicht. Sie blieb stehen und stierte ihren Besucher an.
    »He, was ist denn mit dir?«
    »Was soll sein?«
    »Dein Ohr, Mann!«
    »Ach so, ja. Ich habe mich verletzt.«
    Die junge Frau verzog die Lippen. »Sieht aber nicht gut aus. Als hätte einer unserer Zuhälter zugestochen.«
    »Der war es bestimmt nicht.«
    »Bon.« Die Frau nickte. Sie verschwand, um das Gewünschte zu holen.
    Der Mann nahm wenig später eine Tüte entgegen, in der ein Croissant steckte.
    »Laß es dir schmecken!«
    »Danke.«
    »Und gib auf dein zweites Ohr acht.«
    »Mach ich, danke!«
    Der Henker ging in seine Wohnung zurück. Er schloß die Tür und schaute nach dem Kaffee.
    Der war mittlerweile durchgelaufen. Die große Tasse stand schon bereit, und im Gegensatz zu vielen Franzosen trank er das Zeug schwarz, ohne die viele Milch. Er verzichtete auch auf Zucker, aber sein Croissant mußte er essen.
    Es war frisch und schmeckte gut, obwohl das Essen an diesem Morgen für ihn nicht mehr als ein reiner Automatismus war, seine Gedanken beschäftigten sich mit völlig anderen Dingen. Zum erstenmal nach langer Zeit kam dem Mann auch wieder zu Bewußtsein, wie allein er in dieser Situation war.
    Gut, er hatte zahlreiche Bekannte. In diesem Viertel kannte er fast alle.
    Man grüßte sich, man redete miteinander, es gab hier keine Standesunterschiede, und er gehörte auch zu den Menschen, die sehr gefällig waren. So hatte er schon des öfteren auf die Kinder einer Nachbarfamilie aufgepaßt oder sich um Tiere gekümmert, wenn deren Herrchen oder Frauchen im Krankenhaus lagen.
    Bekannte ja, aber keine direkten und engen Freunde, denen er sich anvertrauen konnte. Bisher hatte sich Cresson darüber nicht viele Gedanken gemacht, nun aber sah es anders aus. Plötzlich vermißte er einen Menschen, mit dem er über seine Probleme reden konnte, und das Wort ›Merde‹, das er zwischen zwei, drei Bissen ausstieß, klang sehr echt.
    Er trank die Tasse leer, aß die letzten Krümel des Halbmondes und lehnte sich zurück. Sein Blick fiel dabei aus dem Fenster. Gegenüber sah er die graue Front eines Hauses und auch einen Teil des nassen Dachs, bei dem einige Pfannen fehlten. Aus dünnen Schornsteinen quoll magerer Rauch und vereinigte sich sehr schnell mit den tief hängenden Wolken, die so aussahen, als wollten sie den Rauch wieder in die Öffnungen zurückdrücken.
    Die Erlebnisse der vergangenen Nacht konnte er einfach nicht verdrängen. Es hatte sie gegeben, daran biß keine Maus den Faden ab.
    Er hatte sich nicht geirrt, und er überlegte jetzt, wie er damit fertig werden sollte.
    Allein?
    Das mußte er wohl oder übel, was ihm natürlich überhaupt nicht schmeckte.
    Cresson dachte über das Beil nach. Es war Realität, er hatte es nicht geträumt, sein verletztes Ohr war dafür Beweis genug. Er war mit dem Leben davongekommen, doch Cresson war sicher, daß es nicht bei der einen Attacke blieb. Das Beil würde ihm vielleicht sogar den Kopf spalten.
    Und die Schlangen?
    Als Auguste an sie dachte, schielte er durch den Raum. Er schaute sich die Umgebung an, als wären sie auf dem Teppich zu sehen, aber es war nichts zu entdecken.
    Keine Schlangen, nur der graue Belag, abgetreten wie ein löchriger Wischlappen.
    Er hatte sein Leben hinter sich. Ein schreckliches Leben, und er gestand sich jetzt ein, Fehler gemacht zu haben. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, über die zahlreichen Opfer nachzudenken, die er auf dem Gewissen hatte. Auch das System in diesem Land war ihm egal gewesen. Totalitär, brutal, grausam. Eine Opposition hatte es nicht gegeben, und dieser Herrscher war sogar von einigen Großmächten unterstützt worden. Bis zu dem Zeitpunkt, als er durchdrehte und den Blick für die Realitäten verloren hatte. Da war die Revolution dann stärker gewesen, und auch der Henker des Diktators hatte fliehen müssen. Er war soeben noch über die Grenze entwischt. In Frankreich hatte er sich sicher gefühlt und den Zeitungen die weiteren Entwicklungen in dem Land verfolgt, das einmal seine Heimat gewesen war.
    Viel hatte sich nicht geändert. Das neue Regime, angetreten mit großen Idealen, hatte ziemlich schnell die Praktiken des alten übernommen. Ein Bürgerkrieg
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