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Heldenzorn: Roman (German Edition)

Heldenzorn: Roman (German Edition)

Titel: Heldenzorn: Roman (German Edition)
Autoren: Jonas Wolf
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Pferde keinen Bestand. Die Wolken wurden ein weiteres Mal zu Fetzen auseinandergetrieben, bis nichts mehr von ihnen blieb. Dann erstarrten die Pferde, wie wenn der Stein, aus dem sie geschaffen waren, erst jetzt verstand, dass es seine Aufgabe in der Ordnung der Dinge war, unverrückbar zu sein. Stück für Stück versanken die Pferde in der Erde, die sie eben erst geboren hatte. Teriasch schüttelte ehrfürchtig den Kopf. Pukemasu hat recht … die Geister sprechen ihre eigene Sprache, und wer sie ganz verstehen will, wird den Verstand verlieren.
    Er stand auf. Trotz all der Zeichen, die ihm die Geister gesandt hatten, breitete sich eine bittere Enttäuschung in ihm aus. Luft. Wasser. Erde. Was ist mit dem Feuer? Warum schweigen seine Geister? Hat Pukemasu nicht gesagt, ich würde den Feuergeistern viel bedeuten? Da muss sie sich wohl getäuscht haben … Das Schlimmste war, dass er sich auf die Zeichen der anderen Geister keinen Reim machen konnte, und das Allerschlimmste war, dass er wohl ausgerechnet Pukemasu nach seiner Rückkehr ins Lager um Rat würde fragen müssen. Und zur Strafe dafür, dass ich das Ritual ohne sie angegangen bin, lässt sie mich die nächsten zwei Monde jeden Tag ihre Knochenrasseln polieren … so viel steht fest.
    Er wandte sich zur Schwitzhütte um. Das Geschöpf, das vor dem niedrigen Eingang kniete, konnte kein Mensch sein, auch wenn es die Gestalt eines Menschen angenommen hatte. Von Menschen stieg kein Flimmern auf, wie es in der Luft lag, wenn die Sommerhitze auf der Steppe lastete. Menschen hatten keine Haut, die weiß wie die kalte Asche auf vom Feuer ausgezehrtem Holz war. Menschen trugen keine Umhänge und Kapuzen aus einem Stoff, der von Fäden aus glühendem Metall durchwirkt war. Sie führten als Waffe auch keine bauchigen Keulen, auf die man funkelnde Schnüre spannte und die man an einem Lederriemen über die Schulter trug.
    »Hier bin ich«, sagte Teriasch, und er schämte sich ein bisschen für das Zittern in seiner Stimme, als er den Feuergeist ansprach.
    Der Geist fuhr herum, doch er schwieg. Auch sein Gesicht hatte nichts von einem Menschen aus einer der Sippen der Steppe: Seine Augen waren zu groß, seine Nase zu forsch und sein Mund, um den viel zu viele feuerrote Haare wuchsen, zu breit. Langsam richtete der Geist sich auf, und wenn Teriasch seine Miene richtig deutete, war er … verblüfft?
    Habe ich ihn beleidigt? Hätte ich ihn nicht ansprechen dürfen, bevor er mich anspricht? Teriasch hätte sich gern am Kopf gekratzt, wagte es aber nicht.
    »Kannst du mich sehen?«, fragte der Geist. Seine Stimme war hell, und doch klangen seine Worte stockend und widerborstig, als hätte er große Mühe, sie hervorzubringen.
    »Ich kann dich sehen.« Teriasch nickte.
    Der Geist murmelte vor sich hin, zupfte unschlüssig an seiner Kapuze und streifte sie dann ganz ab. Das struppige Haar auf seinem Kopf hatte genau dieselbe Farbe wie das um seine Lippen. »Und jetzt? Siehst du mich jetzt?«
    »Ich sehe dich.« Was soll das? Teriasch versuchte, sich das verwirrende Verwandtschaftsgeflecht ins Gedächtnis zu rufen, in das sämtliche Geister der Welt eingebunden waren. Gab es da nicht auch Feuergeister, die sich mit Geistern des Wahnsinns gepaart haben, um neue Geister hervorzubringen? Doch, schon. Aber das waren Geister der Zerstörung und Geister der Gier, keine Geister der … Verwirrung.
    Der merkwürdige Geist zog die Kapuze wieder über. »Siehst du mich immer noch?«
    »Ja.« Teriasch konnte nicht mehr an sich halten. »Wer bist du?«
    »Wer bist du ?«, gab der Geist die Frage zurück.
    »Oh …« Teriasch lastete es dem Genuss des Wurzelsuds an, dass er die Gebote der Höflichkeit verletzt hatte, die im Umgang mit Geistern unbedingt einzuhalten waren. Er konnte Pukemasu förmlich vor sich sehen, wie sie einen Moment die Zungenspitze durch eine ihrer Zahnlücken schob, ehe sie eines der wichtigsten dieser Gebote zitierte: »Geister sind wie misstrauische Weiber mit einem Zelt voller Kinder, in dem kein Vater wohnt. Sie wollen wissen, mit wem sie es zu tun haben, bevor sie noch einmal jemanden an ihr süßestes Geheimnis lassen.« Also räusperte sich Teriasch, senkte kurz das Kinn auf die Brust, als würde er sich mit einer großen Bitte an einen der Ältesten wenden, und sagte: »Ich bin Teriasch von den Sapa Wahikape, den Schwarzen Pfeilen.«
    »Aha. Teriasch. Von den Schwarzen Pfeilen.« In der Stimme des Geistes schwang ein irritierender Unglaube mit. »Wenn du zu
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