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Heldenzorn: Roman (German Edition)

Heldenzorn: Roman (German Edition)

Titel: Heldenzorn: Roman (German Edition)
Autoren: Jonas Wolf
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er den Blick des Schamanen. Unter dem Geklapper der Rasseln an seinem Gürtel trat Gopatanka an seine Seite.
    »Was sagen die Geister?«, fragte Scheschoka.
    Der Schamane hob den Kopf zu den Wolken am Himmel, murmelte leise, ging in die Hocke, streichelte das Gras und leckte sich die Fingerspitzen. »Sie schweigen.«
    Scheschoka rieb sich das Kinn. »Ist das gut oder schlecht?«
    »Es ist, wie es ist«, antwortete Gopatanka.
    Im Lager der Fremden winkte der Mann in dem roten Gewand. Zweimal. Wie man winkte, wenn man jemanden zu sich ins Zelt einlud.
    Tamni gehörte zu den Ersten, die Scheschoka zu den Harten Menschen begleitete. Sie war mit ihm geritten, weil auch Mado mit ihm geritten war, und wenn Mado starb, weil es nur eine Falle der Fremden war, wollte sie auch sterben. Mado, der so raue Hände und so weiche Lippen hatte.
    Als die graue Bestie am Rand des Lagers die Pferde witterte, hob sie ihre schlauchige Schnauze wie eine Schlange ihren Leib, und sie gab einen furchtbaren Laut von sich, der Tamni schaudern ließ. So mussten die wütenden Geister der giftigen Winde klingen, die in den Tiefen der Finsteren Scharten gefangen waren. Die Pferde antworteten auf das Getöse mit Schnauben und Wiehern.
    Der Fremde im roten Gewand lächelte und verneigte sich vor ihnen, doch Tamni hatte nur Augen für den Mann an seiner Seite. Er stammte ohne jeden Zweifel aus einer der Sippen der Steppe: schwarzes Haar, Haut von der Farbe regennasser Erde, die Augen schmal und nicht in ewigem Schrecken geweitet wie die der Harten Menschen. Doch anstelle weichen Leders trug er eine metallene Rüstung, auf deren Brustplatte ein Löwe brüllte, und auch der Reif um seinen Hals war aus einem starren Material. Knochenbleich und immerzu schimmernd, auch wenn die Sonne gerade von einer Wolke verhüllt war.
    Der Fremde in Rot sagte einige Worte in der abgehackten Sprache der Harten Menschen, die in Tamnis Ohren wie eine Verwünschung klangen, obwohl sie seinem Gesichtsausdruck nach freundlich gemeint waren.
    »Der Lexis des Dominex heißt euch willkommen«, übersetzte der Mann aus der Steppe. »Er ist hier, um Frieden mit den Sippen der Steppe zu schließen. Als Zeichen seiner Aufrichtigkeit will er euch reich beschenken.«
    Zwei große Kisten wurden herbeigeschafft, und der Lexis ließ es sich nicht nehmen, sie von eigener Hand zu öffnen. Tamni, Mado und Scheschoka glitten gewandt von den Rücken ihrer Pferde. Was sie in den Kisten dargeboten fanden, zeugte gewiss von einer guten Absicht, doch der Großteil waren Dinge, die nicht für das Leben in der Steppe gemacht waren: zerbrechliche Trinkbecher aus gesponnenem Glas, dünne Stoffe, die selbst vom leichtesten Sturm mühelos in Fetzen gerissen wurden, glänzender Schmuck, der einen schon von Weitem verriet, wenn man sich an Beute oder einen Feind heranpirschte. Immerhin war auch das eine oder andere Brauchbare darunter: ein Paar Stoßdolche, pelzbesetzte Stiefel und eine Löwenstatue, die sich als Zierde für eine Zeltspitze eignete.
    Scheschoka schürzte die Lippen. »Das ist alles, womit dieser Harte Mensch das Unrecht wiedergutmachen will, das den Sippen der Steppe angetan wurde?«
    Der Übersetzer leitete die Frage an den Fremden in Rot weiter, der ihm auch prompt eine Antwort gab, lächelnd und ohne zu zögern. »Es ist nur der erste Tropfen eines langen Regens von Wohltaten, mit denen der Dominex euch überschütten wird. Für die Sippen der Steppe wird nichts mehr so sein, wie es bis heute war. Zu Ehren dieses großen Tages bittet euch der Lexis, ein Fest mit ihm auszurichten, um diese Zeitenwende zu feiern.«
    »Ein Fest?«
    Tamni wusste, dass Scheschoka die Bitte nicht zurückweisen würde. Wenn es etwas gab, von dem er nicht genug bekam, war es vergorene Milch und der Anblick tanzender Frauen.
    »Wenn du nicht tanzt, dann iss etwas.« Wakijela hielt ihr eine Schale mit getrockneten Beeren hin. »Warum tanzt du nicht?«
    Tamni steckte sich eine Beere in den Mund und zuckte mit den Achseln. »Mir ist nicht danach.«
    Wakijela setzte sich neben sie auf die Decke, die Tamni am Rande des Lagers ausgebreitet hatte, wo das Lachen und Klatschen und das Rufen und Reden der Feiernden wenig mehr als leises Gemurmel war. »Es bringt Unglück, ein Fest nicht zu feiern. Oder freust du dich nicht, dass uns ein Kampf erspart geblieben ist?«
    »Doch.« Tamni strich mit den Fingern über ihren Bauch und zog kleine Kreise, wie der Wind es manchmal tat, wenn er im Steppengras spielte. »Die Sippen
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