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Heldenzorn: Roman (German Edition)

Heldenzorn: Roman (German Edition)

Titel: Heldenzorn: Roman (German Edition)
Autoren: Jonas Wolf
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haben schon genug gekämpft.«
    Wakijela nickte, ihr spöttisches Lächeln auf dem runden Gesicht war plötzlich fortgewischt. »Ich weiß.«
    Die meisten Kinder der Weite hatten durch den Großen Zug gen Norden vor einem Sommer Verluste zu beklagen, aber Wakijela hatte es besonders schwer getroffen. Ihr Vater, ihre Mutter, ihre zwei älteren Brüder, ihr Onkel – alle hatten sie den wahnsinnigen Traum, jenseits der Gipfel der Struppigen Mähne neue Jagdgründe und neues Weideland zu erobern, mit dem Leben bezahlt. In der Schlacht, in der die Toten sich erhoben hatten, um über die Lebenden herzufallen, Freund wie Feind gleichermaßen. Gopatanka nannte sie das Lange Lied der Singenden Klingen, aber das waren viel zu schöne Worte für ein viel zu grässliches Gemetzel.
    »Weißt du, was das Schlimmste daran ist?«, fragte Wakijela.
    »Was?«
    »Dass die Söhne und die Töchter der Sippen immer wieder vergessen, warum so viele von ihnen Waisen sind.« Es war eine triste Einschätzung, doch wie hätte ihr Tamni widersprechen können? Nur eine Generation vor dem Großen Zug nach Norden waren die Sippen schon einmal den Omen und den Verheißungen eines Führers gefolgt – in dieselbe Himmelsrichtung, an denselben Ort, und dort waren sie demselben Grauen begegnet: Toten, die nicht ruhen wollten und ihren Hunger nach Fleisch an jedem Lebenden stillten, der ihnen in die Fänge geriet. »Manchmal meine ich, wir werden es nie lernen, an unserem Platz in der Welt zu bleiben und uns nicht nach etwas zu sehnen, das uns nicht gehört und uns niemals gehören wird.«
    »Vielleicht wird es diesmal anders.« Tamni legte die Hände flach auf ihren Bauch. »Vielleicht sind wir weiser als unsere Ahnen.«
    Angesichts dieses kleinen Frevels sog Wakijela scharf die Luft ein. »Reiz die Geister nicht.«
    »Im Ernst.« Tamni wies mit dem Kinn in Richtung des großen Feuers, um das Scheschoka und die Ältesten gemeinsam mit den Harten Menschen saßen. »Sieh es dir doch an. Sie sind gekommen, um Frieden mit uns zu schließen. Sie wollen uns nicht mehr jagen. Sie wollen uns noch mehr Geschenke bringen.«
    »Ich traue ihm nicht«, wisperte Wakijela.
    »Wem? Dem Mann in dem Gewand aus Stoff wie Blut?«
    »Nein.« Wakijela rückte dichter an Tamni heran. »Dem, der für ihn spricht. Wo ist seine Sippe? Ist er nicht tot, wenn er keine Sippe mehr hat?«
    »Und wenn die Harten Menschen seine neue Sippe sind?«, fragte Tamni.
    Wieder sog Wakijela die Luft ein. »Hör auf damit, solche Sachen zu behaupten. Das sind nicht die Gesetze, denen die Welt folgt.«
    »Überleg doch«, entgegnete Tamni trotzig. »Am Ende ist es mit ihm so gewesen, wie wenn einer von uns in eine andere Sippe geht. Hast du ihn gefragt? Es könnte doch sein, dass er seinen Schamanen und die Geister sogar um Erlaubnis gebeten hat, zu den Harten Menschen gehen zu dürfen.«
    »Er ist nicht mehr wie wir.« Wakijela zerkaute eine Beere, und ihre Augen funkelten wild. »Er trägt ihre Kleider aus Metall.«
    »Aber auch eine Keule an seinem Gürtel«, wandte Tamni ein.
    »Ja, auch aus Metall.« Wakijela schüttelte barsch den Kopf.
    »Trinkt er nicht die Milch der Stuten, auch wenn die Harten Menschen es nicht tun und sich an Wasser halten?«
    »Warum willst du mir nicht glauben, wenn ich dir sage, dass man ihm nicht trauen kann?«
    Tamni seufzte. »Weil es schöner wäre, wenn man ihm trauen könnte.«
    »Aber warum?«, beharrte Wakijela.
    »Darum.« Tamni beugte sich nach hinten und reckte Wakijela ihren Bauch entgegen. »Für das, was in mir wächst.«
    Wakijela schlug eine Hand vor den Mund, und ihre Augen wurden fast so groß wie die eines Harten Menschen. Dann kicherte sie so heftig, dass ein paar Beeren aus der Schale in ihrer Hand hüpften. »Tamni! Bist du sicher?«
    »Ich blute nicht. Seit zwei Monden.«
    Wakijela drückte sie fest an sich. »Oh, wie ich mit dir singen werde, wenn es kommt!«
    Tamni genoss die Umarmung nicht nur, weil die Nachtluft kühl war. Sie erfreute sich an Wakijelas Herzschlag, den sie an ihrer Brust spürte. Das Flattern eines aufgeregten Vogels.
    »Wer ist der Vater?«, fragte Wakijela.
    »Wer wohl?«
    »Mado?«
    »Ja.«
    »Weiß er es schon?«
    »Ich will noch warten. So lange, bis man es sieht und ich etwas herzuzeigen habe.«
    Wakijela stellte die Beeren weg und fasste nach einem von Tamnis Zöpfen. »Ob es dein Haar haben wird?«
    Im Widerschein der Feuer glomm Tamnis Haar schwach wie die Sonne in den allerletzten Augenblicken ihres Laufs
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