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Helden

Helden

Titel: Helden
Autoren: Jutta Richter
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müssen. Nein ... unbeschwert ist eine solche Kindheit auf gar keinen Fall ... Die Damen vom Jugendamt ... Ja, natürlich wird dort kontrolliert, aber das ist ja auch nur ein Blick von außen ... man wundert sich doch immer wieder, warum solche Kinder nicht woanders untergebracht werden. Es geht ja auch um die Versorgung ... Nein, ich habe die Frau wochenlang nicht gesehen. Der Junge muss alles machen ... Der Junge kauft ein, der Junge trägt den Müll runter ... Da kümmert sich doch keiner ... Ja, da bin ich sicher ... der Junge wäre im Kinderheim wesentlich besser aufgehoben ... Man hört ja so manches ... Ja, natürlich ... ach, nach den Ferien schon? ... der Platz ist schon beantragt? ... da bin ich aber erleichtert ...«
    Ich verlasse den Horchposten und gehe in mein Zimmer. Ich kann mein Herz in den Ohren klopfen hören, und meine Knie sind ganz weich. Ich weiß genau, dass der Junge Felix ist.
    Aber das kann doch nicht sein, dass Felix zurück ins Heim muss. Das hätte er uns doch erzählt, denke ich. Einer für alle und alle für einen. Und was wird dann aus dem Club der Meisterdetektive? Wir brauchen Felix. Wir haben das Unheimliche zwar entdeckt und enttarnt, aber besiegt haben wir es nicht. Im Gegenteil, das Unheimliche wird mit jedem Tag unheimlicher. Ich muss sofort etwas unternehmen. Wir müssen verhindern, dass sie Felix ins Kinderheim bringen.
    Nur noch zwei Wochen, denke ich. Nur noch zwei Wochen, dann geht die Schule wieder los!
    Ich ziehe die Gummistiefel an, nehme die Regenjacke vom Garderobenständer und ziehe die Korridortür leise hinter mir zu.

HAUSARREST
    Corinna Thiemann machte die Tür nur einen Spaltbreit auf. Sie hatte ihren geblümten Schlafanzug an, obwohl es schon Mittag war. Papas Liebling war vorne quer über die Brust gestickt.
    »Bist du krank?«, fragte ich.
    Corinna schüttelte den Kopf. »Hausarrest.«
    »Wegen was?«
    »Komm erst mal rein, du bist ja ganz nass.«
    Ich zog die Gummistiefel aus und hängte meine Regenjacke über einen Stuhl.
    »Also, sag schon.«
    »Wegen der Trietsch«, fauchte Corinna. »Die Trietsch hat sich die Haare machen lassen und meiner Mutter alles brühwarm erzählt.«
    »Was denn erzählt?«
    »Na, dass ihr Zuckerjunge sich eine blutige Nase geholt hat und dass wir dabei waren.«
    »Aber wir haben doch gar nichts gemacht.«
    »Das erklär mal meiner Mutter! Die ist schon seit Wochen schlecht drauf, die hat bloß nach einem Grund gesucht, mich einzusperren. Und du kennst doch die Trietsch, wenn ihr Zuckerjunge Aua ruft, dann geht die die Wände hoch! Mir glaubt ja keiner. Aber wenn die Trietsch was sagt, dann ist das Gesetz.«
    »Mist«, sagte ich. »Dann weiß meine auch bald Bescheid.«
    »Worauf du dich verlassen kannst.« Corinna starrte wütend aus dem Fenster.
    »Wenn mein Vater hier wäre, wäre alles anders. Der hätte mir geglaubt. Der war immer auf meiner Seite.«
    »Aber dein Vater kommt doch bald zurück«, sagte ich.
    Corinna fing an zu weinen. Die Tränen liefen ihr ganz langsam übers Gesicht.
    »Mein Vater kommt nicht zurück«, schluchzte sie. »Der kommt nie wieder zurück. Das erzählt meine Mutter doch nur. Die haben sich nämlich getrennt. Für immer. Du hast ja keine Ahnung, was hier los ist.«
    Ich wollte Corinna trösten, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich fühlte mich plötzlich klein und hilflos, und am liebsten wäre ich wieder gegangen. Ich legte meine Hand auf ihre Schulter, aber sie zuckte zurück.
    »Lass mich«, schluchzte sie. »Komm mal mit.«
    Mir blieb die Spucke weg. Die Küche sah aus wie ein Schlachtfeld. Überall lagen Scherben. Schmutzige Teller und Töpfe stapelten sich in der Spüle, auf dem Küchentisch standen leere Weinflaschen, und in einem halbleeren Weinglas schwammen mindestens fünfzig kleine tote Fruchtfliegen.
    »Nachts trinkt sie immer Rotwein«, sagte Corinna. »Dann dreht sie die Musik auf und schmeißt aus Wut Teller an die Wand, aber am schlimmsten ist das Weinen. Sie schluchzt und weint ganz laut, und sie denkt, ich schlafe und kriege das nicht mit, dabei höre ich alles. Verstehst du: ALLES ! Am liebsten würde ich abhauen.«
    »Komm«, sagte ich leise, »jetzt räumen wir erst mal auf.«
    Eine Stunde später sah Thiemanns Küche wieder so aus wie früher. Die Scherben waren aufgefegt, die leeren Weinflaschen standen im Flur, die Teller, Tassen und Gläser waren gespült. Alles sah ordentlich aus. Auch an Thiemanns Kühlschranktür hing der Zeitungsausschnitt mit unserem
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