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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verstanden?«
    Igor sah den großen Mann verständnislos an. Er hatte nichts begriffen, aber er dachte an den Korporal, der gesagt hatte: »Wenn du nicht aus und ein weißt, dann sage diesen Satz …« Und Igor sagte:
    »Es ist alles Scheiße auf der Welt!«
    Der Mann verzog schmerzhaft das Gesicht. Er legte seine breite Hand auf Igors Schädel und drückte zu. Wie in einem Schraubstock war's, Igor schrie auf und ließ sich vom Schemel fallen.
    »Nur zur Warnung!« brüllte der Mann. »Steh auf, Eselsdreck! Wir werden dich im Lager an einen Haken hängen, als Mahnung für alle. Zum Teufel, erhebe dich!«
    Er riß Igor vom Boden, stieß ihn vor sich her aus dem Gebäude, über den Bahnsteig und in einen alten Wagen, in dem es nach Sauerkohl und Schweiß stank.
    »Wir werden dich kleinkriegen«, schrie der Mann wieder. »So klein wie eine plattgedrückte Wanze!«
    Er gab Gas, der alte Wagen machte einen Satz, fiel auf alle vier Räder, ächzte in allen Fugen und zockelte dann wie ein darmkranker Gaul über die Straße.
    Igor preßte das Gesicht gegen die schmutzige Scheibe und starrte in die Abenddämmerung. Das war Moskau.
    Er sah keinen Unterschied zu Königsberg, nur waren alle Häuser ganz, in den Fensterscheiben leuchtete orangen die Abendsonne, und die Doppelkreuze glänzten golden von den Zwiebeltürmen der Kirchen.
    Er sagte laut »Hurensohn!« weil das Wort einen so schönen Klang hatte. Der Mann vor ihm zuckte zusammen, als habe ihn jemand in den Nacken geboxt.
    »Warte, bis wir angekommen sind!« schrie er. »Einen störrischen Ochsen schlägt man so lange zwischen die Hörner, bis er mit dem Schwanz wedelt.«
    Warum schreit er so, dachte Igor und zog die Beine an. Warum ist er so böse?

V IERTES K APITEL
    Das ›Staatsheim für Kriegswaise‹ war in einem alten Kloster südlich von Moskau untergebracht und machte von außen einen ehrwürdigen Eindruck, daß man versucht war, beim Betreten des Vorbaues die Mütze vom Kopf zu reißen, als beträte man eine Kirche. Dieser Eindruck änderte sich sofort, wenn man in den Innenhof blickte, wo einmal Mönche betend und singend gewandelt waren, bis die Revolution sie verjagte und der Bezirkskommissar die Klosterzellen in Gefängniszellen umfunktionierte. Später stand das Kloster leer und galt als Geheimtip für Liebespaare, bis der Staat wieder Besitz von dem Kloster ergriff und ein Waisenhaus einrichtete.
    Igor Antonowitsch hatte das Glück, daß der Chef der Anstalt die deutsche Sprache halbwegs beherrschte. Sein Name war Boris Igorowitsch Komorow. Er war ein dicker Mensch, der seinen Bauch vor sich herschob wie eine Lokomotive einen Waggon.
    »Ist er das?« fragte Komorow, als Igor vor ihm im Büro stand und ihn stumm mit seinen großen blauen Augen anblickte.
    »Er ist's«, knurrte der lange Mann aus dem Auto. »Eine Mißgeburt sage ich Ihnen, Genosse Heimleiter. Ein Mundwerk wie ein Fischweib. Man sollte ihn scheuern wie einen Eisenkessel.«
    »So sieht er gar nicht aus, Pjotr Schmeljoff.« Komorow beugte sich zu Igor vor und blinzelte ihm zu. »Du wirst es gut bei uns haben, mein Söhnchen.«
    Und Igor – immer an den alten Korporal denkend, der ihm gesagt hatte: »Wenn einer freundlich zu dir ist, dann sage diesen Satz: ›Gott verfluche dich! Du bist ein schielender Bock!‹« – antwortete entsprechend.
    »Was sage ich?« schrie der lange Mann. »Hören Sie es, hören Sie es, Genosse Komorow? Man sollte ihm gleich das Gesicht auf den Rücken drehen!«
    Komorow hob die Augenbrauen und kratzte sich die Nase. Dann las er die Begleitpapiere des Jungen, kam um seinen Tisch herum, und anstatt dem Bürschchen aufs Haupt zu schlagen, streckte er ihm die Hand entgegen und sagte auf deutsch: »Guten Tag.«
    »Guten Tag«, antwortete Igor hell. Seine Augen glänzten. Er legte seine schmächtige Hand in die dicke von Komorow und machte einen kleinen Diener. Schmeljoff, der Lange, fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare.
    »So ein Luder!« schrie er. »So ein Galgenstrick! Verstehen Sie dieses Wesen, Boris Igorowitsch?«
    »Bis auf seinen Grund. Irgendein Saukerl hat ihm diese Worte eingetrichtert. Er weiß gar nicht, was sie bedeuten. Igor spricht gar kein Russisch … er ist ein Deutscher!«
    »Ein was?« Schmeljoff drückte das Kinn an den Kragen. »Das ist doch unmöglich!«
    »Lesen Sie die Begleitpapiere!« Komorow warf Schmeljoff die dünne Akte zu … das Leben des Igor Antonowitsch auf zwei Seiten. Eine Akte, die später noch ein dicker Papierberg
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