Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Drittbeste seiner Klasse. Wir sind stolz auf ihn. Sie können es auch sein, Anton Wassiljewitsch.«
    Pjetkin nickte. Er kämpfte mit einem Kloß in der Kehle. Das ist Ergriffenheit, sagte er sich. Das ist Vaterglück. Fünf Jahre habe ich um ihn gekämpft, mit hundert Behörden, mit hundert Anträgen. Bis zum Kriegsministerium bin ich vorgedrungen, mit meinem Abschied aus der Armee habe ich gedroht, General Ronowskij, heute ist er Marschall der Sowjetunion, hat bei einem privaten Essen mit Stalin diesem selbst meine Wünsche vorgetragen, sogar zu Berija, dem das Innenministerium und die Geheimpolizei unterstehen, habe ich mich gewagt, und überall hat man mir gesagt: »Geduld, Genosse. Es wird alles geregelt werden. Ihr Problem ist ein sehr heikles. Man adoptiert nicht so mir nichts dir nichts einen deutschen Jungen, auch wenn er jetzt staatlich erzogen wird und auf dem Wege ist, ein Russe zu werden. Noch ist er es nicht, noch fehlt die Vertiefung, das Heimatgefühl in seiner Seele. Warten Sie noch ein wenig …« Jetzt endlich war Pjetkin mit seinen Anträgen durchgekommen.
    Er hatte in Moskau die Adoptionsurkunde unterzeichnet, und Irena Iwanowna, seine Frau, hatte Tränen des Glücks vergossen, denn nun hatte sie einen Sohn. Zwar kannte sie ihn nur von einem frühen Foto, auf dem Igor noch ein schmächtiges, erbarmungswürdiges Kerlchen war, denn mit dem Eintritt in das Waisenhaus riß alle Verbindung ab, es wurde kein Besuch gestattet, kein Foto, nur jeden Monat ein Brief, und selbst der wurde noch zensiert … aber für Irena Iwanowna war Igor über alle Jahre hinweg ihr Sohn, schon weil Anton Wassiljewitsch sich voll und ganz als Vater fühlte.
    »Weiß er, daß ich komme, um ihn abzuholen?« fragte Pjetkin jetzt. Auf dem Innenhof hielt die kleine Truppe an, Kommandos ertönten.
    »Er ist seit drei Monaten Kommandeur der ›Kleinen Falken‹«, erklärte Komorow. »Und er weiß, daß Sie kommen, Genosse.«
    »Wie nimmt er es auf?«
    »So wie wir es erwartet haben nach unserer fünfjährigen Erziehung. Er betrachtet es als eine äußerst ehrenvolle Abkommandierung.«
    »Er kommt zu seinem Vater«, sagte Pjetkin betroffen. »Nicht zu einem Kommando.«
    »Dieses Gefühl wird schwer in ihm zu entdecken sein.« Komorow hob bedauernd die Schultern. »Der Vater aller Kriegswaisen, ist der Genosse Stalin, ihre Mutter das ewige Rußland.«
    Pjetkin verzichtete darauf, Komorow zu bitten, ihn nicht mit Phrasen zu belästigen. Plötzlich schlich Angst durch ihn. Das Wiedersehen mit Igor war in seiner jahrelangen Phantasie wie etwas Göttliches gewachsen … nun stand er hier am Fenster und zögerte vor dem Gegenübertreten. Wird er strammstehen und wie eine Maschine antworten, dachte Pjetkin. Hat man ihm seine kindliche Seele programmiert? Wie wird er mich begrüßen, mein kleiner Igoruschka?
    »Gehen wir?« fragte Komorow.
    »Ja, gehen wir«, sagte Pjetkin wie betäubt.
    Er riß sich zusammen, steckte die Hände in die Rocktaschen, ballte die Fäuste und atmete tief durch. Dann folgte er Komorow hinaus auf den Innenhof.
    Dann stand er Igor gegenüber. Der Junge war aus dem Magazin gekommen, in der Uniform der Komsomolzen, der Schweiß stand auf seiner Stirn.
    Komorow trat zur Seite. Pjetkin streckte beide Hände aus, und auch Igor begann die letzten Meter über den Hof zu laufen, als er Anton Wassiljewitsch erkannte. Sie fielen sich in die Arme.
    »Igor, mein Wölfchen!« rief Pjetkin und drückte ihn an sich. »Mein großes starkes Wölfchen …«
    Und Igor sagte leise in seiner Umarmung: »Endlich bist du gekommen, Papuschka –«
    Väterchen … er hat Väterchen zu mir gesagt, durchrann es Pjetkin heiß. Ich bin sein Väterchen … O Gott, o ihr Heiligen alle …

F ÜNFTES K APITEL
    Igors Leben wurde breit und schön wie ein sibirischer Strom. Im Hause Pjetkins, in der weinbergumkränzten Stadt Kischinew, gab es einen kleinen Luxus gegenüber der sonstigen Menschenmasse. Pjetkin war stellvertretender Stadtkommandant geworden, Ehrenmitglied der kommunistischen Partei, Träger der Tapferkeitsmedaille und ›Held von Stalingrad‹. Er saß in vielen Komitees als Vorsitzender oder Beirat, kannte die maßgebenden Persönlichkeiten der weiten Umgebung und genoß alle Vorzüge und Vergünstigungen, soweit so etwas in einer klassenlosen Gesellschaft möglich war.
    Igor wuchs in dieses Leben hinein mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit. Er nannte Irena Iwanowna Mutter, was sie die ersten sechs Wochen jedesmal zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher