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Heinrich Mueller 05 - Mordswein

Heinrich Mueller 05 - Mordswein

Titel: Heinrich Mueller 05 - Mordswein
Autoren: Paul Lascaux
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ein.

Mittwoch, 25.8.2010
    Eine Biene summte vorbei und erledigte das, was Bienen eben an einem sonnigen Tag erledigen. Heinrich Müller saß in der Wiese und zupfte selbstvergessen an einzelnen Grashalmen, die er langsam in den Mund steckte und zerkaute, während im Horizont über den weit entfernten schneebedeckten Berggipfeln die rosa Vorboten des abendlichen Alpenglühens sich auf den Weg machten, sein Bewusstsein zu benebeln, ärger, als es eine Überdosis Wein fertiggebracht hätte. Er dachte an all das Geschehene und das Verpasste in seinem Leben, an Leonie und seine Freunde, und aus seinen Augenwinkeln rannen ein paar Tränen.
    Aber er hatte seinen eigenen Auftrag zu erfüllen. Also erhob er sich und setzte seine Schritte gemächlich, aber zielgerichtet auf der Suche nach dem Baum, von dem seit dem Beginn dieser Geschichte alle sprachen: der Blutbuche. Wohl hatte er in der Nähe gestanden, als sie die Wolfsfalle besichtigten, in der man Hubert Welsch vor sechs Wochen gefunden hatte. Die rötlich gefärbten Blätter würden den Baum unübersehbar aus den andern herausheben.
    Als Müller den Waldrand zwischen Gaicht und der Twannbachschlucht erreicht hatte, vernahm er ein Blitzen und Blinken, das von rechts kam. Er dachte zuerst an die Gewohnheit, CDs am Straßenrand aufzuhängen, damit das aufblendende Licht eines Autos die Wildtiere vertreiben würde. Aber wieso sollten auf dieser Schotterstraße solche Warnungen nötig sein? Er trat näher heran und sah, dass es Deckel von Blechbüchsen waren, teilweise neu, teilweise verrostet, alle aber mit weißer Farbe sorgfältig beschriftet: »Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf«, las er, indem er die ersten drei aneinanderreihte. »SEBP«, stand auf den nächsten vier. Dann folgte eine Adresse, deren Zusammenhang ihm unklar blieb, eine Aufzählung von Rebsorten, und auf den letzten zehn – er zählte sie nicht mehr einzeln – stand immer nur dasselbe Wort: »Swetlana!«
    Der Detektiv blickte hoch. Er hatte sich ablenken lassen und stand unvermittelt unter der Blutbuche. Er hatte seine Aufmerksamkeit einschläfern lassen. Das durfte nicht noch einmal passieren. Heinrich Müller griff nach seiner Pistole, die er zum ersten Mal seit Jahren wieder aus seinem Waffenschrank genommen und an einen Tatort mitgebracht hatte.
    Tatsächlich fanden sich im untersten Ast, der allerdings bereits einige Meter über dem Boden lag und im schwindenden Abendlicht nur noch schwach zu erkennen war, die eingeritzten Köpfe von vier jungen Männern, fratzenhaft verzerrte Gesichter, höhnisch grinsend.
    »Der Baum hat die Wahrheit aus ihnen herausgezerrt. Sein Wachstum hat ihres begleitet, aber nur die Blutbuche zeigt das wahre Gesicht der Viererbande«, flüsterte eine Stimme, die den Eindruck erweckte, sie käme direkt von rechts hinten. Müller drehte sich blitzschnell um.
    Doch die Stimme verstummte. Dann lachte Ernst Glauser aus verschiedenen Richtungen. Er bediente sich einer Lautsprecheranlage, die er nach Bedarf steuern konnte. Müller wusste nicht, wo sich sein Widersacher befand. Er konnte genau so gut oben in der Baumkrone sitzen oder irgendwo in der Ferne, wenn er ihn mit einer Kamera beobachtete.
    »Treueschwüre dieser Art sind nicht viel wert, glauben Sie mir«, sagte die Stimme. »Treten Sie zwei Schritte vor. Keine Angst. Noch geschieht Ihnen nichts.«
    Das »noch« hallte in Müller nach, als er sich sachte vorwärts wagte. Sein Erstaunen war groß, als er an einem weiteren Ast das Bildnis der Emma Blank von Albert Anker hängen sah.
    »Ich sollte es für Martin Wiederkehr verstecken, bis sich die Aufregung etwas gelegt hatte«, erklärte die Stimme.
    »Herr Glauser?«, fragte Müller.
    »Ich stand schon immer auf der Seite des Gesetzes. Aber das Gesetz schaut nicht immer tatenlos zu, wenn Bösewichte es zu ihren Gunsten umbiegen. Es bedient sich gewalttätiger Mittel, wenn es gar nicht anders geht. Aber vielleicht habe ich auch nur zu viele Western geschaut, zu oft zugesehen, wie der Sheriffstern in falsche Hände geriet, wie ein Dorf – das immer Stadt heißt – in der amerikanischen Steppe von einem gewissenlosen Schwein geleitet wird. Dieser Unhold kennt nur ein Gesetz: das seine. Er formt es nach seinem Gutdünken und ändert die Regeln mitten im Spiel. Und dennoch ist es ihm äußerst wichtig, dass das Spiel nach Regeln abläuft. Wie in jenem Film mit Sharon Stone.
    Sie spielt ›Lady‹, eine verbitterte junge Frau, die nach Rache sinnt, weil sie unter
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