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Heinrich Mueller 01 - Salztraenen

Heinrich Mueller 01 - Salztraenen

Titel: Heinrich Mueller 01 - Salztraenen
Autoren: Paul Lascaux
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Daneben hatten die neuen Besitzer eines gelb gestrichenen Hauses aus den Fünzigerjahren radikal aufgeräumt, alles Gesträuch, alles Lebendige ausgerissen, das Biotop zugeschüttet, die Erde planiert und einen Rasen gesät, der nur dank Unkrautvertilger wuchs. Im Kühlschrank dafür alles vom Biobauern.
    Müller stellte sein Fahrzeug ab und machte einen kurzen Dorfrundgang. Stattliche Bauern-und Bürgerhäuser im Dorfkern, Satteldach, Walmdach, Ründi, Laube, alles vom Feinsten, geschnitztes Holz, manchmal bemalt, gut unterhalten und doch in der einbrechenden Dämmerung eher düster. Unterwegs schätzte er bereits die Kneipen ab. Nur der Bären pries Gästezimmer an. Ein Emmentaler Wirtshaus aus dem 18. Jahrhundert, breite Fensterfront, vier Stockwerke, braune Fensterläden, der Eingang in der Mitte über drei Stufen zu erreichen, darüber ein altes Holzschild Gasthof zum Bären, zwischen dem zweiten und dritten Stock aus der Fassade herausragend die Furcht einflößende Figur eines braunen Mutz mit aufgerissenem Maul und aufgestellten Ohren. Müller trat in die Wirtsstube, wo bereits ein paar Leute den Abend mit einem Bier begannen. Der Wirt, ein großer, schlaksiger Mann zwischen 50 und 60, hatte gerade keine Zeit. Müller musste warten. Der Fremde aus Bern fiel sofort auf. Weshalb sollte bei diesem Wetter einer aus der Stadt hier völlig überraschend übernachten wollen.
    Heinrich setzte sich neben den Stammtisch, in den die Namen der drei Dorfvereine eingeschnitzt waren. Denn sobald drei Menschen zusammen sind, brauchen sie einen Präsidenten. Nicht um selber den Vorsitz zu haben, sondern um geführt zu werden. Damit sie zu Hause berichten können: »Präsident Schlaukopf hat gesagt …“ Und der Präsident braucht einen Verein. Den Verein der Freunde des Hechelns. Den Club für die Liebhaber des Alpenbitterkrauts. Den Verein zur Erhaltung und Förderung des voralpinen Obertongesangs. Viele solche verdienstvollen Organisationen bleiben der Öffentlichkeit mangels Menschen, die sich präsidieren lassen wollen, unbekannt. Heute lag die Zeitschrift ›Rosenstolz‹ auf der dunklen Tischplatte und versprach einen Artikel mit der Aufklärung über die ›Jasminzone bei Frauen ab 40‹. Von diesen Frauen saßen vier um den Tisch herum und begutachteten den Detektiv, der sich durchaus hätte Hoffnungen machen können, wenn er die Damen in der Stadt kennengelernt hätte.
    Da keine etwas sagte, malte sich Heinrich Müller aus, wie die vier vor einem halben Jahrzehnt den Damenturnverein gegründet hatten; die Inschrift im Stammtisch schien die frischeste zu sein. Er hatte sich aus dem Mu-Ki-Turnen heraus entwickelt, in dem Jahr, als drei der Frauen im Abstand von nur wenigen Monaten ein Kind zur Welt gebracht hatten. Die drei, alles Mädchen, sahen einander zum Verwechseln ähnlich. Inzwischen waren sie achtjährig, und im Turnverein waren nur noch die Mütter übrig geblieben. Und es war eigentlich auch kein Turnverein mehr, sondern der Kern der Theatergruppe Kurzgraben. Müller wäre erstaunt gewesen, hätte er gewusst, wie nah seine Spekulation der Wahrheit kamen. War es eine Täuschung oder schaute ihn die vierte im Bunde begehrlicher an als die anderen?
    Der Wirt stand nach wie vor in der Küche und machte keine Anstalten, seinen neuen Gast zu begrüßen. Er schaute mit trübem Blick an die gelblich braune Wand. Das Wasser schmeckte wie immer, wie Wasser eben schmecken sollte, wenn es aus der Leitung floss, die von der eigenen Quelle gespeist wurde. Aber es hatte seine Farbe deutlich verändert, was jemandem, der es zum ersten Mal im Glas vor sich hatte, kaum aufgefallen wäre. Ihm schon. Ein zitronenfalterleichtes Gelb stach aus dem Glas, etwas Verdünntes, das im Geschmack keine Veränderung hinterließ, besonders kräftiges Gras, eine Dachshöhle, Wildkräuter? Er wusste es nicht, und das machte ihn wütend und verzweifelt, nicht zu wissen, was auf seinem Grund und Boden vor sich ging, so wütend, dass er beinahe in Versuchung kam, den unverhofften Gast wieder wegzuschicken. Dann siegte aber doch die Neugier und auch ein bisschen das Verlangen nach zusätzlichen Einkünften, denn die Bauern hatten in ihrer Trinkmenge besonders in den Tagen nach Bählers Unfall nachgelassen.
    Als Heinrich Müller eine Stunde später aus seinem Zimmer, das auf den Garten hinaus ging und sehr ruhig wirkte, wieder in die Gaststube hinein trat und als Abendessen Schweinsbratwurst mit Kartoffelstock und Salatbeilage bestellte,
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