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Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin
Autoren: Thommie Bayer
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Blick in den
Kühlschrank, der mir aber nichts Neues zeigte, denn ich hatte am Vormittag
eingekauft und alles Verderbliche verstaut.
    »Ich kauf dir Brekkies.«
    »Brauchst du nicht.«
    Hatte sie gemerkt, dass ich sie verlocken wollte, bei mir zu
bleiben? War ihre Antwort eine Absage an diesen Wunsch? Der dezente Ausdruck
für ihre Absicht, gleich wieder weiterzuziehen?
    »Es ist Sommer«, sagte sie, »ich hol mir eine Maus, wenn ich Hunger
habe.«
    Las sie meine Gedanken? War sie überhaupt weiblich? Ich hatte ihr
nicht indiskret unter den Schwanz geschaut, war einfach davon ausgegangen, dass
sie eine Kätzin sei, aber ihre Witze und die etwas kurz angebundene Art hätten
auch zu einem Kater gepasst. Allerdings hatte ich keine Ahnung, worin sich
Kater und Kätzinnen in der Redeweise unterscheiden könnten. Dass sie überhaupt
redeten, war neu für mich.
    So wie sie durchs Haus ging, kannte sie sich aus. Sie war nach dem
Trinken von der Theke gesprungen und hatte sich, zielstrebig wie mir schien,
aufgemacht ins Wohnzimmer, wo sie aufs Sofa hüpfte und sich hinlegte. Die
Pfoten vor der Brust nach innen gefaltet. Sie lag da wie ein Brot. Oder ein
Schiff.
    »Du bist wirklich schön«, sagte ich.
    »Hattest du schon erwähnt.« Sie gähnte und machte wieder dieses
klackende Geräusch beim Schließen der Kiefer. Dann kniff sie die Augen zu, und
ich nahm das als Aufforderung, sie in Ruhe zu lassen.
    Ich öffnete die Terrassentür, um ihr ganz beiläufig zu
signalisieren, dass ich sie nicht einsperrte, dass sie jederzeit gehen konnte,
ich hoffte, ihr mit dieser Geste das Bleiben zu erleichtern. Bei mir
funktioniert das. Wer mich zu fest umarmt, wird mich schnell wieder los, wer
locker lässt, behält seine Anziehungskraft.
     
    ˜
     
    Ich spürte wieder meinen Sonnenbrand im Gesicht und wusste
nicht, was ich jetzt tun sollte. Auch schlafen? Nein, dazu war es zu spät. Wenn
ich jetzt noch schliefe, dann würde ich zerschlagen und verwirrt aufwachen und
nicht mehr in den Abend zurückfinden. Ich nahm mein angefangenes Buch vom Tisch
und ging damit nach draußen auf die Terrasse. Eigentlich wäre ich gern
dringeblieben und hätte dem Schlaf von Isso gelauscht, aber auf einem Stuhl
wär’s mir zu unbequem gewesen, das Sofa gehörte jetzt ihr (oder ihm, falls sie
ein Kater war), und den Sessel hatte ich am Morgen nach draußen gebracht,
zusammen mit einem Schemel, um den Ausblick auf die Weinberge und Tabakfelder
zu genießen.
     
    ˜
     
    Ich hatte dieses Haus im Internet gefunden und mich sofort
verliebt. Der leicht heruntergekommene Bungalow mit den Rosenbüschen und
Holundersträuchern im Garten, dem Ahorn rechts und den drei Birken links der
Terrasse, das alles sah schon auf den Fotos aus wie der Ort, nach dem ich ein
Leben lang gesucht hatte. Ohne allerdings davon zu wissen – es brauchte den
Zufall, die nervöse Lähmung, die mich in der Stadt befallen hatte, den Fluchtreflex
und nicht zuletzt dieses näher rückende Abgabedatum, um mir zu zeigen, was ich
eigentlich wollte: hier sein und von niemandem bedauert werden.
    Eigentlich ließen meine Finanzen solche Extravaganz nicht zu. Ein
Ferienhaus zu mieten, nur um eine Arbeit in Angriff zu nehmen, hieß, weit über
meine Verhältnisse zu leben. Aber der Charme dieser Bilder im Internet war stärker
gewesen als meine ansonsten verlässliche Zurückhaltung beim Geldausgeben.
Vielleicht verbarg sich ja etwas für mich bis dahin Unhörbares und Undenkbares
als Flüstern im Subtext: Hier wartet die sprechende Katze auf dich.
    Ich spürte, wie sich mein Gesicht verzog – ich lächelte amüsiert
über mich selbst. Die sprechende Katze gab es natürlich nur in meinem Kopf. Da
drinnen im Haus schlief zwar eine echte, aber dass sie mir Rede und Antwort
stand, bildete ich mir selbstverständlich ein. Ich bin nicht der heilige
Franziskus. Und ich bin kein Spinner. Nicht dass ich wüsste jedenfalls.
    Ich bin ein Realist. Zumindest versuche ich einer zu sein, auch wenn
ich mich in angstvollen Momenten dabei erwische, dass ich Gott oder irgendetwas
Ähnliches anrufe. »Bitte mach, dass der Befund negativ ist«, sage ich dann zum
Beispiel in meinen vor lauter Panik leeren Kopf hinein und will glauben,
wenigstens in diesem Moment, dass jemand die Macht hat, dieser Bitte zu
entsprechen. Ich brauche einen Gott, wie jeder Mensch, dabei weiß ich, dass es
keinen geben kann. Die Faktenlage spricht dagegen.
    Ich hatte sie nicht kommen gehört. Auf einmal sprang sie in meinen
Schoß, blickte
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