Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin

Titel: Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin
Autoren: Thommie Bayer
Vom Netzwerk:
das Thema wechseln und fragte sie nach dem Haus, worauf
sie mir erzählte, sie sei hier aufgewachsen und habe nach dem Tod ihrer Eltern
nicht verkaufen wollen, aber auch nicht mehr einziehen können, weil für sie,
ihren Mann und die beiden Kinder zu wenig Platz in dem kleinen Bungalow sei.
Sie deutete auf ein hellblaues Haus in einiger Entfernung, winkte mich zu sich
her, damit ich den richtigen Blickwinkel hatte, und sagte: »Dort wohnen wir.
Wenn Sie was brauchen, und Ihr Handy ist gerade ausgestiegen, dann könnten Sie
auch mit einem Handtuch winken.«
    »Oder rüberkommen«, sagte ich.
    »Geht auch.«
     
    ˜
     
    Nachdem sie gegangen war, weil, wie sie sagte, das
Abendessen auf sie wartete, fühlte ich mich alleingelassen. Und vor allem
fühlte ich mich zurückgeworfen in dieses Mischgefühl aus Frustration und Zorn,
dem ich hierher eigentlich hatte entfliehen wollen. Der Essay war nur der
Vorwand, den ich vor mir selbst brauchte, um mich nicht als Feigling zu fühlen
– ich wollte weg sein aus der Stadt, weg von meinem Telefon, vom Fax, vom
stündlichen Blick in die E-Mail und das Internet und dem brüllenden Schweigen
des Verlegers, der sich einfach nicht zu meiner Ehrenrettung aufraffte.
    Ich hatte schon länger den Verdacht gehabt, dass er kein wirklich
guter Mann sei, aber mich nicht weiter daran gestört, da einer wie ich froh
sein muss, überhaupt einen Verlag zu haben. Ich verkaufte nicht viele Bücher.
Nicht mehr. Vor Jahren war das mal anders gewesen, aber diese Zeit war offenbar
vorbei. Wenn ich von einer Biografie oder einem filmhistorischen Sachbuch zwei-
oder dreitausend Exemplare verkaufte, dann konnte ich schon froh sein.
    Das Buch, um das es hier ging, ist eine Laurence-Sterne-Biografie.
Ich habe ein in den USA erschienenes, aber ignoriertes Buch ausgiebig
zitiert, habe ganze Textpassagen daraus übernommen, und das wäre auch ohne Kennzeichnung
als Zitat niemandem quergelegen, weil sich das Werk erstens nur knapp siebenhundertmal
verkauft hatte, sich ohnehin nicht viele Leute für Laurence Sterne
interessieren, und selbstverständlich kein Mensch dieses untergegangene
amerikanische Buch kennt. Aber ein kleiner österreichischer Verlag brachte es
in Übersetzung heraus und entdeckte dummerweise die textgleichen Passagen bei
mir. Großes Geschrei, Plagiat, Skandal, einstweilige Verfügung und natürlich:
tolle Werbung für den österreichischen Verlag und seine Übersetzung. Und Pech
für mich. Ich stand als Dieb da, als Schwindler, als unseriöser Schlawiner, und
die Flasche von Verleger schwieg. Er ließ sich am Telefon verleugnen,
antwortete nicht auf meine Mails, rief nicht zurück und ließ keinen Ton in der
Presse verlauten.
    Der Brunello war sehr gut. Frau Seelig hatte mir da einen echten
Trostspender überlassen. Ich war schon beim zweiten Glas, aber nur mit den paar
Peperoni und Oliven im Magen schien mir das nicht das richtige Abendprogramm.
Ich machte mir Spinat und Spiegelei. Eigentlich wollte ich jeden Tag etwas
Richtiges kochen, aber die Dosen und Tiefkühlpäckchen im Supermarkt waren zu
verlockend gewesen. Für sich alleine kocht man nicht. Man wärmt allenfalls auf
oder schneidet sich was zurecht. Ohne das zufriedene Gesicht eines Gastes ist
das nichts.
     
    ˜
     
    Es war immer noch warm, und ich setzte mich auf die
Terrasse. Außer Sessel und Schemel, die ich herausgetragen hatte, stand da auch
noch ein kleiner weißer Tisch mit drei Stühlen, an dem ich jetzt Platz nahm.
Mein Buch legte ich in Reichweite, aber ich würde wohl nicht darin lesen, war
zu aufgeregt – der Groll hatte mich wieder.
    Weiß, Gelb, Grün, Rot – mein Teller sah sehr appetitlich aus. Ich
hatte mir noch Tomatensalat dazu gemacht. Ich probierte den Spinat und war
zufrieden, auf die nächste Gabel legte ich ein krosses Stückchen Eiweiß.
    Ich hatte sie nicht kommen gehört. Mit einem Gurren flog sie auf den
Tisch und näherte sich mit weit ausgestellten Schnurrhaaren und zitterndem
Näschen meinem Teller.
    »Hallo Isso«, sagte ich, »bist du eigentlich eine Frau oder ein
Mann?«
    »Irrelevant«, sagte sie und starrte auf mein Essen.
    »Willst du was ab?«
    »Eigelb«, sagte sie.
    »Ich hol dir einen Teller« sagte ich und stand auf, aber sie machte
sich über das Ei her und murmelte so etwas wie: »Kann nicht warten. Geht
nicht.«
    »Moment, jetzt stopp doch mal. Du kriegst es ja«, sagte ich, schnitt
ihr, vorsichtig, um sie nicht mit Messer oder Gabel zu behelligen, das Eigelb
aus der Mitte des
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher