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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52
Autoren: Selim Oezdogan
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aufbrausendem Temperament. In seinem Übermut hatte der Gehilfe das Pferd im Galopp über die Hauptstraße gejagt, die Leute waren erschrocken beiseite gesprungen und hatten ihn verflucht, und schließlich hatte die Polizei ihn angehalten und ihm das Pferd abgenommen. Die Polizisten wußten, was Timur dieses Pferd wert war, um es wiederzubekommen, hatte er eine ordentliche Summe hinlegen müssen, er hatte es praktisch noch mal gekauft.
    Ein anderes Mal hatte Timur gebürgt, als einer seiner Freunde ein Feld kaufen wollte und nicht genug Geld hatte. Warum kaufte dieser Mann ein Feld, wenn er kein Geld besaß? Timur hatte es am Ende bezahlt, das Feld, aber es gehörte seinem Freund.
    Fatma machte sich keine Sorgen, er verdiente gut, es war immer Geld da, aber sie hatte begriffen, daß er mit diesem Geld nicht umgehen konnte, und sie ahnte, daß auch andere Tage kommen würden. Doch solange er an ihrer Seite war, konnte sie auch diesen Tagen lächelnd entgegensehen.
    In ihrer ersten Nacht auf dem Friedhof lagen sie mit offenen Augen nebeneinander und schwiegen. Timur dachte immer wieder, nur noch zwei Minuten, nur noch zwei Minuten die Sterne ansehen und meine Frau im Arm spüren, dann drehe ich mich um und schlafe ein.
    – Gül, sagte Fatma leise in die Stille hinein.
    – Hm? machte Timur.
    – Es wird ein Mädchen, ich kann es fühlen. Ich möchte sie Gül nennen, Rose, ich möchte ein kleines Mädchen haben, das Rose heißt.
    Der Schmied legte seine Hand auf ihren Bauch.
    – Gül, sagte er. Und wenn es ein Junge wird, nennen wir ihn Emin.
    – Es wird kein Junge.
     
    |297| Gül wurde an einem warmen Septembertag geboren. Als der Schmied in der Dämmerung heimkam, lag dieses kleine Wesen neben seiner Frau im Bett.
    – Sind die Hände und Füße normal? fragte er als erstes, und Fatma nickte.
    Vorsichtig berührte er Gül, sie wirkte, als könnte allein das Gewicht seiner großen Hand sie verletzen. Mit feuchten Augen küßte Timur seine Frau und hauchte auch seiner Tochter einen Kuß auf den Kopf. Schließlich ging er hinaus und setzte sich auf die Stufen vor dem Haus. Unter seiner Haut prickelte etwas, nicht wie Luftblasen, sondern eher wie eine warme Abendbrise. Leicht fühlte er sich, als würde sein Körper sanft angehoben werden von dieser Brise, als hätte er etwas von seinem Gewicht an die Erde abgegeben. Er saß auf den Stufen und vergaß zu rauchen.
    In jenem Herbst schien es ihm, als würde alles von selbst laufen. Er kaufte die reiche Ernte der Bauern und verkaufte sie auf dem Markt in der Stadt, sein Weinberg trug reichlich Trauben, für die Arbeit in der Schmiede stellte er einen zweiten Gehilfen ein, und als es wieder Frühling wurde, kaufte er ein Sommerhaus mit einem großen Apfelgarten und einem Stall am Rande der Stadt, um wenigstens im Sommer einen kürzeren Weg zur Arbeit zu haben.
    Viele Städter hatten Sommerhäuser am Rande der Stadt, wo sie der Hitze entflohen, in den großen Gärten ein paar Beete mit Tomaten bepflanzten, mit Gurken, Paprika, Zucchini und Mais, so daß sie zu essen hatten. Außerdem erhofften sie sich einen kleinen Nebenverdienst, wenn ihre Apfelbäume im Herbst Früchte trugen. Ihre Stadthäuser vermieteten sie in den Sommermonaten meistens an reiche Leute aus Adana, die der Hitze ihrer eigenen Stadt entfliehen wollten, die sehr viel sengender war als die Hitze der Kleinstadt, aus der Timur stammte.
    Wenn die Hitze sich selbst im Sommerhaus staute, konnte |298| man sich draußen in den Schatten eines Walnußbaumes legen. Man konnte dem Rascheln der Blätter zuhören, aber es war kaum mehr als eine halbe Stunde Fußweg, bis die Stadthäuser mit ihren kleinen Hinterhöfen, in denen oft nicht mal ein Baum wuchs, wieder dicht an dicht standen.
     
    Anfang Mai zogen sie um. Timur hatte jemanden gefunden, der ihr Bett und den Hausrat mit einem kleinen Lastwagen ins Sommerhaus fahren konnte. Nachdem sie den Lastwagen vollgeladen hatten, war nicht mal mehr im Führerhaus Platz. Der Fahrer schlug vor, die Sachen zum Sommerhaus zu fahren, zwei Burschen zu suchen, die ihm beim Ausladen halfen, und dann zurückzukommen, um Timur und Fatma zu holen, Gül war schon bei ihrer Großmutter.
    – Gut, sagte Timur und steckte ihm Geld in die Tasche seines Hemdes, damit er die Burschen bezahlen konnte. Wir machen uns dann schon mal langsam zu Fuß auf den Weg.
    Als Mann und Frau friedlich auf der staubigen Straße entlanggingen, näherte sich ihnen von hinten ein Auto, und der Fahrer ging
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