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Heimlich

Heimlich

Titel: Heimlich
Autoren: James Ellroy
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Intelligenzquotienten und ein erstaunliches Erzähltalent, also habe ich ihm Gleichnisse erzählt, seit er zuhören konnte. Ich wollte meine Memoiren für ihn schreiben, wenn er ein paar Jahre älter und in der Lage gewesen wäre, sie zu verstehen. Das wird jetzt natürlich nie mehr möglich sein. Aber ich glaube, er hat genug von mir, das seinen Charakter prägt.«
    »Du hast verloren, Harris. Dein Leben, deinen moralischen Erben, deine ›Philosophie‹, alles. Wie findest du das?«
    »Schade. Aber ich war auf Gipfeln, von deren Existenz du und der Rest der Welt gar keine Ahnung haben. Das ist mir ein gewisser Trost.«
    »Wie konntest du wissen, daß ich hierherkommen würde?«
    »Wußte ich nicht. Aber ich wußte, daß du über mich Bescheid wußtest. Seit ich 1951 von dir und dem armen Eddie in der Zeitung las, ahnte ich, daß du eines Tages hinter mir her sein würdest. Ich war nicht überrascht, als du vor meiner Tür standest. Ich dachte mir, du würdest Larry als Keil benutzen, also kam ich früh und vorsichtshalber ohne Auto hierher.«
    Brubaker kam zurück, seine beiden Hände waren übervoll mit weißem Pulver. Ich versuchte die kleinste Menge, die ich auf einen Finger bekommen konnte. Es war völlig rein.
    »Ich wollte dich in Stücke schießen, Doc«, sagte ich. »Aber ich bring’s nicht übers Herz.«
    Mit der Pistole in der Hand schaufelte ich eine Handvoll Morphium von Brubakers weißem Berg, holte die Wasserflasche aus der Papiertüte, schraubte sie auf und ging zu Harris.
    »Friß«, sagte ich und hielt ihm das Morphium vor den Mund.
    Harris öffnete seinen Mund und nahm stoisch sein Abendmahl ein. Als letzten Akt der Gnade hielt ich ihm die Wasserflasche an die Lippen. Doc schüttelte sich und lächelte. »Ich möchte nicht so sterben, Underhill.«
    »Scheiße. Du hast noch ungefähr fünf Minuten, bis dein Herz platzt und du erstickst. Noch irgendwelche letzten Worte? Irgendwelche letzten Wünsche?«
    »Nur einen.« Harris zeigte auf den Boden hinter mir. »Gibst du mir bitte mein Messer?« fragte er.
    Ich nickte, und Brubaker holte das Messer und gab es ihm.
    Harris lächelte uns an. »Servus, Larry. Sei ein gütiger Sieger, Underhill. Ist zwar nicht dein Stil, aber versuch’s wenigstens. Sei gütig im Sieg, wie ich es in der Niederlage bin.«
    Harris knöpfte sein Hemd auf und zog es langsam aus, dann nahm er mit beiden Händen das Messer, rammte es sich in den Bauch und riß es bis zum Brustkorb hoch. Er schüttelte sich, als das Blut aus dem Magen schoß und aus Mund und Nase quoll. Dann fiel er nach vorne auf die Erde, und seine Hände hielten das Messer immer noch umklammert.

    Wir begruben ihn an der Stelle, an der er sein Morphium versteckt hatte und zwängten ihn in den tiefen, engen Raum, den er ursprünglich für seinen riesigen Koffer des Todes geschaffen hatte. Wir deckten ihn mit steiniger Erde zu und legten eine Schicht trockener Blätter über die Erde.
    Ich hievte den riesigen Koffer zu Brubakers Wagen, zapfte Benzin, dann brachte ich den Wagen in Sicherheit. Ich zündete ein Streichholz und ließ den Koffer in Flammen aufgehen. Brubaker, der seit dem Augenblick, in dem Doc gestorben war, still gewesen war, starrte verträumt in die Flammen.
    »Möchtest du ’ne Abschiedsrede halten, Larry?« fragte ich.
    »Ja«, sagte er und zitierte Cole Porter: »›Tschüs jetzt und Amen, wär’ schön, wenn wir uns wiedersehn, es hat viel Spaß gemacht, war aber nur ’ne kleine Geschichte!‹ Gefällt’s dir, Mann?«
    »Nein. Du bist zu hoch für mich, Larry«, sagte ich und warf Erde auf die verkohlten Überreste des Koffers. »Laß uns verschwinden. Ich fahre.«
    Ich fuhr über den Pacific Coast Highway zurück. Brubaker sagte nichts, und das machte mir Sorgen.
    »Du hast mir das Leben gerettet«, sagte ich. »Danke.«
    »Er wollte mich umbringen, Mann. Ich wußte es. Er hat sich auf mich gestürzt und mich beiseite genommen und mir gesagt, du wärst schon so gut wie tot, und dann wäre alles ganz prima. Aber ich wußte, er würde mich umbringen.« Brubaker drehte sich zu mir und sah mich an. »Sonst hätte ich dich sterben lassen«, sagte er.
    »Ich weiß. Du hast ihn geliebt, stimmt’s?«
    »Vom ersten Augenblick an, Mann. Vom allerersten Augenblick an.« Brubaker fing lautlos an zu heulen und steckte seinen Kopf aus dem Fenster, damit ich ihn nicht sah. Endlich wandte er sich wieder mir zu. »Aber ich hab’ mir auch meine Gedanken gemacht, Mann. Als du und dieser große irische
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