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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee
Autoren: Stefanie Zweig
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ihre Energie als vorbildlich und beispielhaft für die Gemeinschaft. Auch ihr Mann fand es aufbauend, dass seine Gudrun selbst zu Hause, wo sie keiner hörte, nie am glücklichen Ausgang des Kriegs zweifelte.
    Die baumstarke Gudrun Schmand mit dem dicht geflochtenen Zopf um den Kopf und einer Vorliebe für Trachtenblusen war die Frau des Blockwarts im Haus Thüringer Straße 11; bei Luftalarm ging sie grundsätzlich mit fünf Scheiben Brot, einem Gläschen Schweineschmalz, Paketschnur, einem kleinen Küchenmesser und Strickzeug in den Luftschutzkeller.
    Hinter den eingeweckten grünen Bohnen, die Frau Schmand für Eberhardts Rückkehr von der Ostfront aufbewahrte, denn sie hatte ihm Bohnensuppe mit Speck für den ersten Tag in der Heimat versprochen, hatte sie einen kleinen Schreibblock und einen Bleistiftstumpf deponiert. Es war Frau Schmand viel daran gelegen, Äußerungen von Mietern, die ihr defätistisch und somit staatsgefährdend erschienen, umgehend zu notieren. »Belastende Bemerkungen müssen sofort aufgeschrieben werden, auf das Gedächtnis ist kein Verlass«, hatte sie von ihrem Mann Willibald gelernt. Er war im Ersten Weltkrieg schwer verwundet worden, auf dem linken Ohr taub und hatte nur zwei Finger an der rechten Hand. Seine Pflicht für Führer und Vaterland vermochte er also nur an der Heimatfront zu tun, aber dort stand er seinen Mann wie ein germanischer Recke. Willibald Schmand war ein aufmerksamer, zuverlässiger und harter Streiter für die deutsche Sache. Seine Frau folgte seinem Beispiel.
    Bis Kriegsausbruch war sie Verkäuferin in einem renommierten Hutgeschäft in der Töngesgasse gewesen. Die Chefin, die wählerischen Herren, die in den Laden kamen, und die eleganten Damen schätzten ihre Hilfsbereitschaft und ihren Geschmack. Das Leben an der Seite eines Mannes, der lange Zeit arbeitslos gewesen war und dem die Nazis nicht nur zu einer Stellung bei der Frankfurter Stadtverwaltung, sondern auch zu neuem Stolz und Selbstbewusstsein verholfen hatten, hatte auch Gudrun Schmand verändert. Schon in den frühen Dreißigern wurde sie eine loyale Dienerin des Führers. Im Krieg und selbst dann, als die alliierten Bomber Nacht für Nacht über Deutschland flogen und auch Frankfurt eine Geisterstadt war, glaubte sie fest an Hitlers Wunderwaffe. Sie berauschte sich am Gedanken, Frauen wie sie wären dazu berufen, die Fackel hochzuhalten.
    Im Jahr 1937 hatten die Behörden dem Ehepaar Schmand und seinen beiden Söhnen eine Wohnung im Parterre des Mietshauses Thüringer Straße 11 zugeteilt. Ursprünglich hatte dort die jüdische Familie Wolfsohn gewohnt, die buchstäblich über Nacht Wohnung und Heimat hatte verlassen müssen. Frau Schmand benutzte das schöne Rosenthalservice, das den Wolfsohns gehört hatte, und deren Tafelsilber nur an Festtagen. Das kostbare Biedermeierbüfett rieb sie regelmäßig mit Möbelpolitur ein. Die vielen Bücher hatte sie einer Buchhandlung überlassen, die Bilder einem Antiquar, der sich äußerst erfreut gezeigt hatte. Willibald Schmand wurde unmittelbar nach seinem Einzug in die Thüringer Straße 11 zum Blockwart. Im fünften Kriegsjahr erzählten sich die Hausbewohner hinter vorgehaltener Hand, er würde selbst sechsjährige Kinder belauschen und sie ausfragen, wo »die liebe Mami ohne Marken einkaufe«. Es hieß auch, Schmand summe den Kleinen das verräterische »Ta Ta Ta Taaa« vor, um herauszubekommen, ob sie das Kopfmotiv aus Beethovens 5. Sinfonie kannten – die Erkennungsmelodie vom deutschsprachigen Programm der BBC. Der Sender aus London galt als einzig verlässliche Quelle für Nachrichten über den Kriegsverlauf. Auf das Abhören von BBC und anderen »Feindsendern« standen hohe Haftstrafen. Auch von Todesurteilen war die Rede.
    Es war indes noch mehr Frau Schmand als ihr gefürchteter Ehemann, die ständig auf der Lauer lag, um Hausbewohner und Nachbarn bei verbotenem Tun und verdächtigem Verhalten zu erwischen. Drei Frauen, zwei aus dem eigenen Haus und eine Kriegswitwe mit siebenjährigen Zwillingen, die sie wochenlang beim Lebensmittelhändler bespitzelt hatte, hatte sie bereits angezeigt – zu ihrem Zorn ohne die erwarteten Folgen. Zum Glück witterte die aufmerksame Frau Gudrun jedoch zu keinem Zeitpunkt, dass die Geschichte des Mädchens Fanny, das immer so brav im Hausflur vor ihr knickste, ein Meisterwerk der Tarnung war.
    Noch an dem Schicksalssonntag vor drei Jahren, als Anna sie vor der Großmarkthalle aus dem Deportationszug gerissen
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