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Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)

Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)

Titel: Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)
Autoren: Werner Bartens
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der Regel zu kurz. Der Patient wird von Arzt zu Arzt geschickt, weil keiner die umfangreiche Diagnostik oder ausführliche Gespräche für eine Pauschale von 15 oder 35 Euro auf sich nehmen will, selbst wenn er noch einen kleinen Zuschlag für die Gerätenutzung bekommt. Weil es sich für den niedergelassenen Arzt nicht lohnt, werden immer wieder Patienten mit banalen Beschwerden ins Krankenhaus geschickt. Denn finanziell attraktiv für Ärzte sind nur gesunde Patienten. Diejenigen mit einem Zipperlein, das schnell zu erkennen und zu behandeln ist. Kranke mit verschiedenen oder komplizierten Leiden werden hingegen zum finanziellen Risiko. Die Pauschale deckt nämlich nur eine Behandlung ab. Wer mehrmals kommt, den muss der Arzt zum Nulltarif behandeln.
    Vor allem geht in dem ständig steigenden Arbeitsdruck etwas verloren, was wesentlich wäre für eine gute Medizin: Zeit für Zuwendung, Zuhören, Trost. Der Patient wird zum Störfaktor. Die ökonomisierte Medizin gleicht diesen Mangel mit Technik aus: »Kann ein Patient im Krankenhaus nicht mehr genug trinken, bekommt er einen Tropf. Isst er zu wenig oder zu langsam, wird eine Magensonde gelegt. Nässt er ein, wird ein Dauerkatheter gelegt. Verhält er sich unruhig, werden Bettgestelle oder Fixierungen angebracht.« So beschreibt der Marburger Oberarzt Konrad Görg einen Krankenhausalltag, aus dem Fürsorge, Mitgefühl und Menschlichkeit wegrationalisiert wurden.
    Das gegenwärtige System folgt einer blinden Fortschrittsrhetorik. Medizin ist aber kein Wirtschaftszweig wie jeder andere, in dem mehr Mittel auch mehr Erfolg nach sich ziehen. Mehr Medizin macht nicht zwangsläufig gesünder – sondern manchmal sogar kränker. Gesundheit ist ein Zustand der Selbstvergessenheit, ein »Schweigen der Organe«, das sich nicht immer auf Rezept herstellen lässt.5 Dennoch verfahren viele Ärzte nach dem zynischen Motto: Es gibt keine Gesunden – nur Menschen, die noch nicht ausreichend untersucht worden sind.
    Technisch aufwendige Untersuchungen sind lukrativ – etwa mittels CT, Kernspin oder Herzkatheter. Entsprechende Diagnostik machen Ärzte vor allem, weil sie sich separat abrechnen lässt – oder bei Privatpatienten. Gigantische Summen werden so für unnötige Diagnostik und Therapie verschwendet, dabei leiden 40 bis 50 Prozent der Patienten in Arztpraxen unter psychosomatisch überlagerten Beschwerden, die keiner Labor- und Gerätediagnostik, sondern einer geschulten Gesprächsbegleitung bedürfen. Ein irrwitzig hoher Anteil, der die gigantische Verschwendung umso deutlicher macht.
    Dennoch bestellen Ärzte ihre Patienten nach überstandener Krankheit zu oft unnötigen Nachkontrollen ein. Krebsmediziner stellen Überdiagnosen und verordnen Übertherapien, da Bildgebung und andere Tests inzwischen so genau sind, dass auch Tumore entdeckt und behandelt werden, die nie Beschwerden verursacht hätten. In Fachzeitschriften wird unter dem Motto »Less is more« bereits diskutiert, wie schädlich zu viel Medizin ist. Dabei besteht eine ärztliche Kernkompetenz darin, unnötige Diagnostik zu unterlassen und stattdessen die Ressourcen der Patienten zu aktivieren.
    Kein Land steckt – neben der Schweiz, den USA und Frankreich – so viel Geld in sein Gesundheitswesen wie Deutschland: mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Von dem Geld kommt jedoch zu wenig dort an, wo es gebraucht wird. Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV), die das Honorar der Ärzte berechnen und verteilen, sind bürokratisch so aufgebläht, dass viele Ärzte mehr Zeit mit der Abrechnung verbringen als mit ihren Patienten.
    Ein System, das die Medizin dem freien Spiel des Marktes opfert, ist krank. Eine Option wären Anleihen am Modell Norwegen. Dort ist nicht alles besser, aber einiges kann man sich abschauen: Ärzte bekommen für jeden Patienten, der sich in ihre Liste einschreibt, eine jährliche Pauschale – egal, ob er gar nicht, einmal oder zehnmal kommt. Hinsichtlich der Lebenserwartung und anderer Kriterien für gute Gesundheit steht Norwegen besser da als Deutschland. Vielleicht auch deshalb, weil weniger oft mehr bringt: Norweger gehen im Durchschnitt drei- bis viermal im Jahr zum Arzt, Deutsche hingegen 17- bis 18-mal. Davon haben die Deutschen nicht viel. Im Gegenteil: »Patienten droht ein Desaster.« »Arzneimittel sind nicht mehr sicher.« »Die Gesundheit von Millionen Menschen wird für Wirtschaftsinteressen geopfert.« Was klingt wie eine abstruse
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