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Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)

Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)

Titel: Heillose Zustände: Warum die Medizin die Menschen krank und das Land arm macht (German Edition)
Autoren: Werner Bartens
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Bundesverband Medizintechnologie, ein Wirtschaftsverband, der 200 Unternehmen vertritt, von einer neuen Behandlung schmerzhafter Wirbelkörperbrüche. Für Millionen Deutsche mit Osteoporose sei mit einem Zement, mit dem die Wirbelkörper aufgefüllt werden, endlich »ein schonendes Verfahren zur dauerhaften Schmerzbeseitigung« gefunden worden. 2011 erschien im Deutschen »Ärzteblatt« eine Studie von Radiologen aus Recklinghausen, die 1188 Patienten behandelt hatten und schwärmten, dass die Zementspritze »die Schmerzen bei der Wirbelkörperfraktur unmittelbar gelindert«, »die Beweglichkeit verbessert« und »den Schmerzmittelbedarf verringert« habe. [5]  
    Schwer zu sagen, ob es Mut, Voreingenommenheit oder Dreistigkeit bedarf, um so etwas zu behaupten. Im weltweit angesehensten Fachblatt für Ärzte, dem »New England Journal of Medicine«, hatten australische Ärzte um Rachelle Buchbinder schließlich schon 2009 festgestellt, dass es keinen Nutzen der Wirbelzementierung gebe. [6]   Im Gegenteil. Die Australier hatten einem Teil ihrer Patienten Zement in lädierte Wirbel injiziert, die andere Hälfte bekam ebenfalls Spritze und Verband, allerdings ohne dass etwas injiziert wurde. Unmittelbar danach, wie auch drei Monate und ein halbes Jahr später, war der Nutzen gegenüber der Scheinbehandlung gleich null. Beide Gruppen klagten über ähnlich starke Schmerzen. Zudem hatte bei manchen Patienten der schwere Zement im Rücken dazu geführt, dass die intakten Wirbelkörper darunter häufiger unter der Last brachen.
    Die Ärzte aus dem Ruhrgebiet konnten diese Befunde in ihrer Studie nicht nachvollziehen. Wie auch, sie hatten ja keine Vergleichsgruppe untersucht! Bei einem guten Fachartikel über eine neue Therapie wäre das selbstverständlich gewesen. Auf der letzten Seite ihres Beitrags gehen sie auf Buchbinders Studie kurz ein und beklagen, dass dadurch »die Anwendung einer Methode, die sich in den Jahren zuvor zunehmend etabliert hat, stark beeinflusst wurde und dies zu möglichen Missinterpretationen und Unsicherheiten bei Zuweisern und Behandlern geführt« hat. Das muss man übersetzen. Auf Deutsch heißt es: Wir lassen uns doch eine Behandlung nicht miesmachen, nur weil deren Nutzen nicht erwiesen ist.
    »Wir müssen bessere Untersuchungen einfordern«, sagt Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. »Gerade für die derzeit so massiv beworbenen Tumormarker, die eine individualisierte Medizin versprechen, gibt es kaum vernünftige Daten.« Ludwig ist wenig euphorisch, was die immer wieder beschriebenen Vorteile für Patienten angeht, »sieht aber die Gefahr, dass alles, was sich Biomarker nennt, vorschnell eingeführt wird, ohne dass der Nutzen für Patienten überhaupt geprüft ist«.
    Erstaunlich auch die Begründung, warum eine andere Methode, deren Vorteile nicht belegt sind, weiter erstattet werden soll. Der Gemeinsame Bundesausschuss, der entscheidet, welche medizinischen Maßnahmen sinnvoll sind und von der Solidargemeinschaft bezahlt werden, hatte im Oktober 2010 befunden, dass die Positronenemissionstomographie (PET) bei Patienten mit Lymphomen nur noch in Ausnahmen erstattet werden soll. Die Begründung: Es gebe keine zuverlässigen Beweise dafür, dass Patienten, die mit dieser Diagnosetechnik untersucht worden sind, im Anschluss besser behandelt werden oder andere Vorteile hätten.
    Die mächtige Interessenvertretung der Kliniken, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, veröffentlichte daraufhin einen Beitrag, aus dem deutlich wurde, dass man doch nicht von einer Untersuchung lassen könne, nur weil sie keinen Vorteil bringt [7]   : »Ist eine Methode wie zum Beispiel die PET bei der Lymphomdiagnostik schon seit längerer Zeit etabliert, in zahlreichen Studien publiziert und Bestandteil nationaler und internationaler Leitlinien, entspricht die Forderung nach Durchführung weiterer randomisiert-kontrollierter Studien zum Nachweis eines patientenrelevanten Nutzens nicht mehr der Versorgungsrealität.«
    Auch hier braucht man einen Dolmetscher. Der Bandwurmsatz bedeutet: Wir nutzen die Methode schon lange, unsere Gremien finden das gut, und deshalb wollen wir nicht länger mit der lästigen Frage nach Vorteilen für Patienten behelligt werden. Es machen doch alle – daher soll das Verfahren bitte weiterhin erstattet werden, statt »überhöhte Forderungen an die Evidenz« zu stellen, wie die Überschrift des Artikels lautet. Wozu einen
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