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Heidi

Heidi

Titel: Heidi
Autoren: Johanna Spyri
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verkündete sie: „Ich bleibe keinen Tag länger in einem Haus, in dem es spukt.“

    „Aber aber“, meinte Herr Sesemann lachend. „Ich glaube, Sie sehen Gespenster.“
    „Allerdings“, brummte Fräulein Rottenmeier nur und eilte beleidigt aus dem Raum.
    Der Zufall wollte es, dass Herr Sesemann an diesem Abend Besuch von seinem alten Freund, dem Doktor, bekam. Da die beiden Herren immer bis tief in die Nacht beisammensaßen und sich über Gott und die Welt unterhielten, beschlossen sie, das Vergnügliche mit dem Nützlichen zu verbinden und sich nebenbei nach dem Gespenst auf die Lauer zu legen.
    Sie warteten und warteten. Die Kirchturmuhr schlug zehn, dann elf und schließlich zwölf, doch nichts geschah.
    „Das Gespenst hat uns bestimmt gewittert“, vermutete der Doktor lächelnd.
    „Oder es hat verschlafen“, sagte Herr Sesemann und grinste ebenfalls.
    Plötzlich hörten sie, wie ein Schlüssel umgedreht wurde.
    Die Haustür knarrte. Die beiden Männer hielten den Atem an. Lautlos tappten sie in den Flur. Die Haustür stand sperrangelweit offen. Bleiches Mondlicht fiel herein und mitten darin stand eine weiße Gestalt.

    Herr Sesemann traute seinen Augen nicht. Die Gestalt war kein Gespenst und auch kein Einbrecher – sondern Heidi!
    Herr Sesemann wollte schon auf sie zustürzen, aber der Doktor hielt ihn am Arm zurück. „Langsam“, wisperte er, „sie schlafwandelt, wir sollten sie nicht erschrecken.“
    Vorsichtig gingen sie auf Heidi zu. Die stand noch immer wie angewurzelt auf der Schwelle und schaute wirr umher.

    Herr Sesemann berührte sie sanft an der Schulter. „Mein liebes Kind“, flüsterte er. „Was machst du denn nur mitten in der Nacht hier unten?“
    „Die Alm“, murmelte Heidi. „Der Großvater. Ich muss zum Schneehöppli. Es hat doch keine Mutter mehr …“ Dann schloss sie die Augen und sank in Herrn Sesemanns Arm.

    Rasch trug er sie in ihr Zimmer hinauf,
    legte sie ins Bett
    und deckte sie sorgsam zu.

    Der Doktor befühlte ihre Wangen und ihre Stirn. „Fieber hat sie nicht“, sagte er. „Aber wenn sie nicht bald in ihre Heimat zurückkommt, befürchte ich das Schlimmste. Mit manchen Menschen ist es so wie mit seltenen Blumen. Man kann sie in den edelsten Blumentopf pflanzen, und sie verdursten trotzdem, denn sie gedeihen nur draußen in der Natur.“
    Herr Sesemann sah seinen Freund betroffen an. „Ich wusste ja, dass sie sich nach ihrem Großvater und den Geißen sehnt“, erwiderte er, „aber ich habe weiß Gott nicht geahnt, dass es so schlimm ist. Morgen werde ich sofort alles Notwendige veranlassen.“

    Gleich in der Frühe weckte er Klara
    und erklärte ihr alles.
    „Ich werde Heidi schrecklich vermissen“,
    sagte sie traurig.
    „Aber ich will auf keinen Fall,
    dass sie krank wird.“
    „Du bist sehr tapfer“, sagte ihr Vater stolz.
    „Und ich verspreche dir etwas:
    Wir werden Heidi
    ganz bestimmt besuchen.“

    Da Herr Sesemann am nächsten Tag wieder auf Geschäftsreise musste, bot sich der Doktor an, Heidi in die Schweiz zu begleiten. Das Dienstpersonal, allen voran Sebastian, konnte es kaum fassen, dass das Mädchen das Haus so überstürzt verlassen sollte. Nur Fräulein Rottenmeier wirkte außerordentlich erleichtert.

    „Ich kann mich nicht erinnern, dass sie jemals so gute Laune hatte“, flüsterte Klara Heidi ins Ohr. „Schade, dass du sie jetzt nicht mehr durcheinanderbringen kannst. Ohne dich wird es hier ziemlich langweilig sein.“
    „Du musst mir bald einen Brief schicken“, sagte Heidi. Auch ihr fiel die Trennung von der Freundin nicht leicht, aber die Freude auf den Großvater und die Alm war um ein Vielfaches größer. Noch immer fühlte Heidi sich ganz benommen von der überraschenden Nachricht, dass sie wieder nach Hause zurückdurfte. „Lesen kann ich ja jetzt“, fuhr sie fort. „Schreiben werde ich bestimmt auch bald lernen.
    Vielleicht hat der Großvater ein Einsehen und ich darf im Winter endlich in die Schule gehen.“
    Und dann ging alles ganz schnell. Heidis Bündel lag geschnürt neben der Haustür, die Kutsche wartete
bereits auf der Straße und Sebastian brachte noch rasch eine Tüte voller frischer und wunderbar weicher weißer Brötchen für die Großmutter herbei.

    Heidi musste ihren Mantel anziehen
    und Abschied nehmen.
    „Wir sehen uns ganz bald wieder“,
    versprach Klara und umarmte Heidi fest.
    „Wir besuchen dich nämlich auf der Alm.“

Doppeltes Glück
    Die Zugfahrt von Frankfurt nach Meinfeld verging
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