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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten
Autoren: Johanna Spyri
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Sesemann—”
    Fräulein Rottenmeier lief hinaus und die Treppe hinunter. Hier, unter der geöffneten Haustür, stand Heidi und guckte ganz verblüfft die Straße auf und ab.
    “Was ist denn? Was fällt dir denn ein? Wie kannst du so davonlaufen!”, fuhr Fräulein Rottenmeier das Kind an.
    “Ich habe die Tannen rauschen gehört, aber ich weiß nicht, wo sie stehen, und höre sie nicht mehr”, antwortete Heidi und schaute enttäuscht nach der Seite hin, wo das Rollen der Wagen verhallt war, das in Heidis Ohren dem Tosen des Föhns in den Tannen ähnlich geklungen hatte, so dass es in höchster Freude dem Ton nachgerannt war.
    “Tannen! Sind wir im Wald? Was sind das für Einfälle! Komm herauf und sieh, was du angerichtet hast!” Damit stieg Fräulein Rottenmeier wieder die Treppe hinan; Heidi folgte ihr und stand nun sehr verwundert vor der großen Verheerung, denn es hatte nicht gemerkt, was es alles mitriss vor Freude und Eile, die Tannen zu hören.
    “Das hast du einmal getan, ein zweites Mal tust du’s nicht wieder”, sagte Fräulein Rottenmeier, auf den Boden zeigend; “zum Lernen sitzt man still auf seinem Sessel und gibt Acht. Kannst du das nicht selbst fertig bringen, so muss ich dich an deinen Stuhl festbinden. Kannst du das verstehen?”
    “Ja”, entgegnete Heidi, “aber ich will schon festsitzen.” Denn jetzt hatte es begriffen, dass es eine Regel ist, in einer Unterrichtsstunde still zu sitzen.
    Jetzt mussten Sebastian und Tinette hereinkommen, um die Ordnung wiederherzustellen. Der Herr Kandidat entfernte sich, denn der weitere Unterricht musste nun aufgegeben werden. Zum Gähnen war heute gar keine Zeit gewesen.
    Am Nachmittag musste Klara immer eine Zeit lang ruhen und Heidi hatte alsdann seine Beschäftigung selbst zu wählen; so hatte Fräulein Rottenmeier ihm am Morgen erklärt. Als nun nach Tisch Klara sich in ihrem Sessel zur Ruhe gelegt hatte, ging Fräulein Rottenmeier nach ihrem Zimmer, und Heidi sah, dass nun die Zeit da war, da es seine Beschäftigung selbst wählen konnte. Das war dem Heidi sehr erwünscht, denn es hatte schon immer im Sinn, etwas zu unternehmen; es musste aber Hilfe dazu haben und stellte sich darum vor das Esszimmer mitten auf den Korridor, damit die Persönlichkeit, die es zu beraten gedachte, ihm nicht entgehen könne. Richtig, nach kurzer Zeit kam Sebastian die Treppe herauf mit dem großen Teebrett auf den Armen, denn er brachte das Silberzeug aus der Küche herauf, um es im Schrank des Esszimmers zu verwahren. Als er auf der letzten Stufe der Treppe angekommen war, trat Heidi vor ihn hin und sagte mit großer Deutlichkeit: “Sie oder Er!”
    Sebastian riss die Augen so weit auf, als es nur möglich war, und sagte ziemlich barsch: “Was soll das heißen, Mamsell?”
    “Ich möchte nur gern etwas fragen, aber es ist gewiss nichts Böses wie heute Morgen”, fügte Heidi beschwichtigend hinzu, denn es merkte, dass Sebastian ein wenig erbittert war, und dachte, es komme noch von der Tinte am Boden her.
    “So, und warum muss es denn heißen Sie oder Er, das möcht ich zuerst wissen”, gab Sebastian im gleichen barschen Ton zurück.
    “Ja, so muss ich jetzt immer sagen”, versicherte Heidi; “Fräulein
Rottenmeier hat es befohlen.”
    Jetzt lachte Sebastian so laut auf, dass Heidi ihn ganz verwundert ansehen musste, denn es hatte nichts Lustiges bemerkt; aber Sebastian hatte auf einmal begriffen, was Fräulein Rottenmeier befohlen hatte, und sagte nun sehr erlustigt: “Schon recht, so fahre die Mamsell nur zu.”
    “Ich heiße gar nicht Mamsell”, sagte nun Heidi seinerseits ein wenig geärgert; “ich heiße Heidi.”
    “Ist schon recht; die gleiche Dame hat aber befohlen, dass ich
Mamsell sage”, erklärte Sebastian.
    “Hat sie? Ja, dann muss ich schon so heißen”, sagte Heidi mit Ergebung, denn es hatte wohl gemerkt, dass alles so geschehen musste, wie Fräulein Rottenmeier befahl.
    “Jetzt habe ich schon drei Namen”, setzte es mit einem Seufzer hinzu.
    “Was wollte die kleine Mamsell denn fragen?”, fragte Sebastian jetzt, indem er, ins Esszimmer eingetreten, sein Silberzeug im Schrank zurechtlegte.
    “Wie kann man ein Fenster aufmachen, Sebastian?”
    “So, gerade so”, und er machte den großen Fensterflügel auf.
    Heidi trat heran, aber es war zu klein, um etwas sehen zu können; es langte nur bis zum Gesims hinauf.
    “Da, so kann das Mamsellchen einmal hinausgucken und sehen, was unten ist”, sagte Sebastian, indem er einen
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