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Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Heidi und andere klassische Kindergeschichten

Titel: Heidi und andere klassische Kindergeschichten
Autoren: Johanna Spyri
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gegenüber einnehmen. Sonst kam niemand zu Tische, und es war viel Platz da; die drei saßen auch weit auseinander, so dass Sebastian mit seiner Schüssel zum Anbieten guten Raum fand. Neben Heidis Teller lag ein schönes, weißes Brötchen; das Kind schaute mit erfreuten Blicken darauf. Die Ähnlichkeit, die Heidi entdeckt hatte, musste sein ganzes Vertrauen für den Sebastian erweckt haben, denn es saß mäuschenstill und rührte sich nicht, bis er mit der großen Schüssel zu ihm herantrat und ihm die gebratenen Fischchen hinhielt, dann zeigte es auf das Brötchen und fragte: “Kann ich das haben?” Sebastian nickte und warf dabei einen Seitenblick auf Fräulein Rottenmeier, denn es wunderte ihn, was die Frage für einen Eindruck auf sie mache. Augenblicklich ergriff Heidi sein Brötchen und steckte es in die Tasche. Sebastian machte eine Grimasse, denn das Lachen kam ihn an; er wusste aber wohl, dass ihm das nicht erlaubt war. Stumm und unbeweglich blieb er immer noch vor Heidi stehen, denn reden durfte er nicht, und weggehen durfte er wieder nicht, bis man sich bedient hatte. Heidi schaute ihm eine Zeit lang verwundert zu, dann fragte es: “Soll ich auch von dem essen?” Sebastian nickte wieder. “So gib mir”, sagte es und schaute ruhig auf seinen Teller. Sebastians Grimasse wurde sehr bedenklich, und die Schüssel in seinen Händen fing an gefährlich zu zittern.
    “Er kann die Schüssel auf den Tisch setzen und nachher wiederkommen”, sagte jetzt Fräulein Rottenmeier mit strengem Gesicht. Sebastian verschwand sogleich. “Dir, Adelheid, muss ich überall die ersten Begriffe beibringen, das sehe ich”, fuhr Fräulein Rottenmeier mit tiefem Seufzer fort. “Vor allem will ich dir zeigen, wie man sich am Tische bedient”, und nun machte die Dame deutlich und eingehend alles vor, was Heidi zu tun hatte. “Dann”, fuhr sie weiter, “muss ich dir hauptsächlich bemerken, dass du am Tisch nicht mit Sebastian zu sprechen hast, auch sonst nur dann, wenn du einen Auftrag oder eine notwendige Frage an ihn zu richten hast; dann aber nennst du ihn nie mehr anders als (Sie) oder (Er), hörst du? Dass ich dich niemals mehr ihn anders nennen höre. Auch Tinette nennst du (Sie), Jungfer Tinette. Mich nennst du so, wie du mich von allen nennen hörst; wie du Klara nennen sollst, wird sie selbst bestimmen.”
    “Natürlich Klara”, sagte diese. Nun folgte aber noch eine Menge von Verhaltungsmaßregeln, über Aufstehen und Zubettegehen, über Hereintreten und Hinausgehen, über Ordnunghalten, Türenschließen, und über alledem fielen dem Heidi die Augen zu, denn es war heute vor fünf Uhr aufgestanden und hatte eine lange Reise gemacht. Es lehnte sich an den Sesselrücken und schlief ein. Als dann nach längerer Zeit Fräulein Rottenmeier zu Ende gekommen war mit ihrer Unterweisung, sagte sie: “Nun denke daran, Adelheid! Hast du alles recht begriffen?”
    “Heidi schläft schon lange”, sagte Klara mit ganz belustigtem Gesicht, denn das Abendessen war für sie seit langer Zeit nie so kurzweilig verflossen.
    “Es ist doch völlig unerhört, was man mit diesem Kind erlebt!”, rief Fräulein Rottenmeier in großem Ärger und klingelte so heftig, dass Tinette und Sebastian miteinander herbeigestürzt kamen; aber trotz allen Lärms erwachte Heidi nicht, und man hatte die größte Mühe, es so weit zu erwecken, dass es nach seinem Schlafgemach gebracht werden konnte; erst durch das Studierzimmer, dann durch Klaras Schlafstube, dann durch die Stube von Fräulein Rottenmeier zu dem Eckzimmer, das nun für Heidi eingerichtet war.

Fräulein Rottenmeier hat einen unruhigen Tag
    Als Heidi am ersten Morgen in Frankfurt seine Augen aufschlug, konnte es durchaus nicht begreifen, was es erblickte. Es rieb ganz gewaltig seine Augen, guckte dann wieder auf und sah dasselbe. Es saß auf einem hohen, weißen Bett und vor sich sah es einen großen, weiten Raum, und wo die Helle herkam, hingen lange, lange weiße Vorhänge, und dabei standen zwei Sessel mit großen Blumen darauf, und dann kam ein Sofa an der Wand mit denselben Blumen und ein runder Tisch davor, und in der Ecke stand ein Waschtisch mit Sachen darauf, wie Heidi sie noch gar nie gesehen hatte. Aber nun kam ihm auf einmal in den Sinn, dass es in Frankfurt sei, und der ganze gestrige Tag kam ihm in Erinnerung und zuletzt noch ganz klar die Unterweisungen der Dame, soweit es sie gehört hatte. Heidi sprang nun von seinem Bett herunter und machte sich fertig. Dann
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