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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt
Autoren: G Pauly
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besser.«
    Dem Kutscher war nicht wohl zumute, aber er verzichtete auf jeden Disput. Kurz darauf drangen seine Rufe durch den Wind, mit denen er die Pferde antrieb.
    Freda stand noch immer ängstlich in der Tür des Gebärzimmers. »Keine Sorge, Freda«, sagte Geesche, »ich werde es schon schaffen, mich auch um dich zu kümmern.«
    Sie betrachtete Freda besorgt, die sich in der nächsten Wehe krümmte. Freda war Erstgebärende, die Geburt konnte sich noch stundenlang hinziehen. Die Gräfin dagegen hatte schon zwei oder drei Totgeburten erlitten, Geesche wusste auch von mehreren Fehlgeburten. Wenn sie im Haus der Hebamme ankam, würde vermutlich alles schnell gehen. Geesche biss sich auf die Lippen. Hoffentlich konnte sie der armen Frau ein gesundes Kind in die Arme legen.
    Freda riss sie aus ihren Gedanken. »Meinst du, der Graf ist bereit, seine Frau durch diese Sturmnacht zu kutschieren?«
    »Er wird es müssen«, sagte Geesche und fühlte sich längst nicht so resolut, wie sie sich gab. »Hoffentlich beeilt der Kutscher sich.« Dann gab sie sich einen Ruck und ging in die Küche. »Leg dich hin«, rief sie zurück.
    Aber Freda folgte ihr. »Ich helfe dir«, sagte sie. »Das lenkt mich ab.«
    Während Geesche die beiden Flügeltüren des Alkovens öffnete, füllte Freda den Sand in den Bettwärmer, den sie auf der Feuerstelle erhitzte, damit er der Gräfin ins Bett gelegt werden konnte. Geesche riss die Laken herunter, obwohl bisher niemand darauf gelegen hatte, und breitete frische über dem Stroh aus.
    Das Alkovenbett in der Küche wurde selten benutzt, Geesche schlief in dem Alkoven des Wohnzimmers. Aber jedes friesische Haus hatte auch in der Küche einen Alkoven, damit ein Familienmitglied, das krank war, in der Küche einen warmen Platz hatte und nicht allein sein musste.
    Ob die Gräfin damit zufrieden sein würde? Dass sie eine bevorzugte Behandlung erfuhr, indem sie in der warmen Küche gebären durfte, würde ihr vermutlich nicht aufgehen. Sie hatte selbstverständlich erwartet, in ihrem eigenen Bett niederzukommen, umgeben von den Dienstboten, die sie mit nach Sylt gebracht hatte, und gewöhnt an den Komfort, den ihr Haus bot. Geesche spürte, dass Angst in ihr hochstieg. Was, wenn auch diese Geburt kein gutes Ende nahm? Dieses Kind des gräflichen Paares war das erste, das auf Sylt geboren werden sollte. Was würde mit der Hebamme geschehen, wenn auch dieses Kind tot zur Welt kam? Der Gedanke an Andrees schoss wie ein Blitz durch ihren Kopf. Wenn sie ihren guten Ruf als Hebamme verlor, würde es mit ihrer gemeinsamen Zukunft noch schlechter bestellt sein. Zwar wurde sie meistens nicht mit Geld, sondern mit Nahrungsmitteln entlohnt, aber diese Arbeit sicherte ihr Leben und konnte auch das Überleben eines Mannes sichern. Vorausgesetzt, dieser Mann war nicht zu stolz, ihre Hilfe anzunehmen …
    Als erneut das Pferdegetrappel durch den Wind drang, fragte Geesche sich, ob der Graf es zulassen würde, dass sie sich auch um Freda kümmerte, während seine Frau in den Wehen lag. Geesche würde Gelegenheit haben, ihr Fingerspitzengefühl zu beweisen. Und als sie Freda ins Gesicht sah, wurde ihr klar, dass sie die gleichen Gedanken hatte.
    »Es wird alles gut«, sagte Geesche, ehe sie zur Tür ging.
    Als sie öffnete, drang der scharfe Ruf eines Mannes an ihr Ohr, der es gewöhnt war zu befehlen. Der Kutscher hob die Gräfin aus der Kutsche und trug sie Geesche entgegen, gefolgt von dem Grafen, der nervös und ungehalten war.
    »Ich habe Sie in meinem Haus erwartet«, herrschte er Geesche an, während der Kutscher die Gräfin vorsichtig auf die Füße stellte.
    »Sie wissen doch …«, begann Geesche, aber jede Erklärung wurde überflüssig, als Fredas unterdrückter Schrei aus der Küche drang.
    Entsetzt sah die Gräfin zu der geöffneten Tür, in der Freda erschien und sich Mühe gab, einen Schritt vor den anderen zu setzen, um über den Flur ins Gebärzimmer zu gelangen. Als Geesche ihr beispringen wollte, wehrte sie erschrocken ab. Nein, die Gräfin hatte Vorrang! Freda hätte sich in Grund und Boden geschämt, wenn Geesche sich um sie gekümmert hätte, während Gräfin Katerina von Zederlitz auf die Zuwendung der Hebamme warten musste. Die arme Fischersfrau Freda Boyken war froh, dass sie in dem Haus bleiben durfte, in dem auch die Gräfin niederkam, und wenigstens darauf vertrauen konnte, dass ihr notfalls geholfen wurde, wenn sie es allein nicht schaffte, ihr Kind auf die Welt zu bringen.
    Geesche
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