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Hawaii

Hawaii

Titel: Hawaii
Autoren: James A. Michener
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sprach von jenem unternehmungslustigen Vogel, der den ersten Samen in seinen Eingeweiden herbeitrug. Es war vielleicht ein Grassamen, einer, dessen Brüder und Schwestern -wenn man von Gräsern so sprechen darf auf den ursprünglichen Inseln zurückblieben und sich dort weiterentwickelten, so wie es die betreffende Familie seit Millionen von Generationen getan hatte.
    Das auf den Ursprungsinseln zurückgebliebene Gras behielt seine Hauptmerkmale bei und trieb keine gewagten Abarten hervor. Oder wenn sich solche Mutationen zeigten, dann wurden sie von dem stärkeren normalen Stamm rasch unterdrückt und damit das langweilige Mittelmaß erhalten. Auf den neuen Inseln aber, alleingelassen in Schönheit, unter Sonne und Regen, wurde das Gras zu einem anderen Gras, eigenartig und den Bedingungen dieser Inseln angemessen. Wenn der Mensch Millionen von Jahren später dieses Gras betrachtete, vermochte er es wohl noch als Gras zu bestimmen und seine Abstammung von der ursprünglichen Familie zu verfolgen, die noch irgendwo existierte; aber er mußte erkennen, daß es nichtsdestoweniger zu einem neuen Gras geworden war, mit neuen Eigenschaften, neuer Lebenskraft und anderen Versprechungen. Erreichte ein Insekt von einem der großen Kontinente diese Inseln? Wenn es geschah, dann wurde es hier zu einem anderen Insekt, mit längeren Beinen oder einem Rüssel, der tiefer stechen konnte. Vögel, Blumen, Würmer, Bäume und Schnecken - alle entwickelten einzigartige Formen auf diesen Inseln. Damals wie heute gab es keinen anderen Platz auf der Erde, der im entferntesten mit der Fähigkeit jener Inseln hätte wetteifern können, das natürliche Leben zu der freien Entwicklung seiner besten Wesenskräfte anzuregen. Mehr als neun von zehn Lebewesen, die hier gediehen, gab es nirgends sonst.
    Weshalb das so war, bleibt ein Geheimnis. Vielleicht war dieses Wunder einem glücklichen Zusammenwirken von Regen, Klima, Sonnenlicht und Boden zuzuschreiben. Vielleicht auch bieten die Äonen, in denen diese Geschöpfe sich selbst überlassen blieben, um ihrem Wesen zu folgen, die Erklärung. Vielleicht erklärt auch die Tatsache, daß ein Gras, wenn es die Inseln erreichte, nur durch seine eigene Kraft existieren konnte und nicht durch andere Gräser aus derselben Familie befruchtet wurde, dieses Wunder. Was aber auch immer der Grund sein mag, Tatsache ist, daß sich auf diesen Inseln neue Formen entwickelten, daß sie gediehen, stark wurden und sich vermehrten. Denn diese Inseln waren ein Schmelztiegel für Eigenarten und Neuentwicklungen.
    Und mit diesen Fähigkeiten warteten die Inseln. Jesus starb am Kreuz, und sie warteten. England wurde von verschiedenen machtvollen Stämmen besiedelt, und die Inseln warteten noch immer auf ihre eignen Siedler. Mächtige Fürsten herrschten in Indien und in China und in Japan, und noch immer warteten die Inseln.
    Die Inseln warteten. Zwar waren sie unwirtlich, aber sie konnten ein Paradies werden, zwar boten sie fast keine Nahrung, aber unermeßlicher Reichtum lag bereit. Feuerspeiende Berge bauten noch immer Wälle aus flüssiger Lava und hingen ihre Fackeln in den Himmel, so daß ein Mann, der sich auf dem großen dunklen Leib des Meeres verirrt hatte und ziellos mit seinem Kanu hin und her kreuzte, das weißglühende Licht bemerkte oder die leuchtende Unterseite einer fernen Wolke und so den feurigen Stern fand, nach dem er sich richten konnte.
    Große Seeraben und kleinere Schwalben schossen über die Wellen und wiesen den Weg zum Land. Fregattvögel zogen scharfe und sichere Navigationslinien vom tosenden Ozean mitten in das Herz der Inseln, wo sie nisteten. - Wenn ein Mann in seinem Kanu einen Fregattvogel ausmachen konnte, der mit seinem geteilten Schwanz die Lüfte zerschnitt, dann war er sicher, daß in der Richtung, in der dieser Vogel bei Sonnenuntergang davonflog, Land liegen mußte.
    Diese bezaubernden Inseln, die in Sonne und Sturm des Menschen harrten, wie sehr glichen sie doch schönen Frauen, die abends ihre Männer zu Hause mit offenen Armen und Sanftmut und warmen Leibern erwarten. Alles was in diesen Inseln vollbracht werden sollte, würde - wie in diesen Frauen allein von dem Willen und der Kraft einiger Männer geschaffen. Deshalb, ihr Männer von Polynesien und Boston und China und dem Fujiyama und den Städten der Philippinen, kommt nicht mit leeren Händen und feigem Sinn und Furcht vor Hungersnot auf diese Inseln. Hier gibt es nichts zu essen, auf diesen Inseln ist nichts gewiß.
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