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Havoc

Havoc

Titel: Havoc
Autoren: Ravensburger
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»Sobald ich kann, komme ich wieder zurück.«
    »Oh nein! Du wirst nirgendwo hingehen«, sagte sein Vater drohend. »Ich lasse nicht zu, dass du deiner Mutter noch mal das Herz brichst. Ist das etwa der Dank für das schöne Leben, das wir dir bieten?«
    »Es gibt Dinge, die wichtiger sind, als zu Hause zu hocken und fernzusehen, Dad«, entgegnete Seth.
    Sein Vater setzte gerade zu einer wütenden Antwort an, als ein furchterregender Schrei zum Himmel emporstieg. Es klang wie das Heulen eines Wolfes aus einem blutrünstigen Horrorfilm. Seths Vater wurde bleich.
    »Was war das?«, flüsterte seine Mutter.
    »Sie sind hinter mir her, Mum«, sagte Seth ruhig. »Ich muss weg, bevor sie mich kriegen.«
    »Du bleibst gefälligst hier, verstanden?«, befahl sein Vater, aber mit einem Mal war alle Autorität aus seiner Stimme verschwunden, und er war nur noch ein Mann mittleren Alters mit Bierbauch und schütterem Haar, der Angst vor der Dunkelheit hatte. »Und jetzt komm endlich rein und mach die Tür hinter dir zu. Im Haus ist es wenigstens sicher.«
    Ein Blitz zuckte über den Himmel, begleitet von einem ohrenbetäubenden Donnern, und tauchte die Straße sekundenlang in blendend weißes Licht. Das Gewitter tobte mittlerweile direkt über ihrem Haus.
    »Es ist nirgendwo mehr sicher, Dad«, sagte Seth. Und dann drehte er sich um und rannte davon.
    3
    Seth zog sich die Kapuze seiner Regenjacke über den Kopf und lief geduckt die Einfahrt hinunter. Der sintflutartige Regen hatte die Straße in einen reißenden Fluss verwandelt, strömte in Sturzbächen am Dach der Kirche herunter, schoss aus den Fallrohren, pladderte auf die Fensterbretter der alten Pfadfinderhütte und peitschte gegen das rostige Klettergerüst im Pausenhof der Grundschule. Dazu fegte heulend der Wind durch die Gassen, begleitet von den kläglichen Schreien der Katzen aus der Nachbarschaft. Irgendwo da draußen musste etwas Grauenhaftes lauern.
    Im Laufen warf Seth einen Blick über die Schulter. Seine Eltern standen in der Haustür. Seine Mutter rief irgendetwas und versuchte sich von seinem Vater loszureißen. Doch der hielt sie fest, zog sie ins Haus und knallte die Tür zu.
    Seth war erleichtert. Möglicherweise hatte sein Vater, als er das markerschütternde Heulen gehört hatte, auf einmal doch gespürt, dass es Dinge gab, über die nicht in den Zeitungen berichtet wurde, die nicht in Talkshows von Politikern und Wissenschaftlern erklärt werden konnten und die dennoch existierten. Dinge, die ihm eine Heidenangst einjagten.
    Seth ging davon aus, dass seine Eltern im Haus sicher waren, schließlich waren sie hinter ihm her. Genauer gesagt, hinter der Skulptur. Dem Shard.
    Seth rannte bis zur nächsten Straßenkreuzung und blieb dann einen Moment lang unschlüssig stehen. Er hatte keine Ahnung, wohin er gehen sollte, wusste nur, dass er schleunigst von hier verschwinden musste. Blitze durchbrachen die Wolkendecke und tauchten die Bäume, die sich rings um die Kirche ächzend unter der Wucht des Sturms bogen, in ein unheimliches Licht. Auf den Straßen waren weder Fußgänger noch Autos unterwegs. Alles, was Beine hatte, schien sich vor dem Gewitter in Sicherheit gebracht zu haben.
    Seth spähte vorsichtig um eine Häuserecke und erstarrte, als er einen Mann in seine Richtung eilen sah. Sein riesiger, massiger Körper wurde von einem langen Regenmantel verhüllt. Er trug einen grauen Herrenhut, den er sich tief in die Stirn gezogen hatte, sodass man sein Gesicht nicht erkennen konnte. Aber Seth brauchte es nicht zu sehen, um zu wissen, wer dieser Mann war. Icarus Scratch.
    Mit klopfendem Herzen drehte Seth sich um, rannte die Straße ein kurzes Stück zurück und lief dann quer über den Friedhof. Bäume säumten den ausgetretenen Weg und ihr Rascheln jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Es war fast, als würden sie seinen Feinden zuzischeln: Hier ist er! Hier! Der Junge ist hier!
    Als er auf der anderen Seite des Friedhofs durch das Tor stürmte, fand er sich in einer kleinen Wohnstraße wieder. Straßenlaternen gingen flackernd an und tauchten die dunkle Gasse in tröstliches gelbes Licht. Die Gasse mündete in eine breite Hauptverkehrsstraße, an der die weiterführende Schule mit ihren großen Sportplätzen lag. Dahinter begannen die Felder und Wälder, von denen Hathern umgeben war. Seth entschied sich spontan, in dieser Richtung weiterzulaufen, obwohl es letzten Endes wahrscheinlich sowieso keine Rolle spielte, welchen Weg er einschlug.
    Er
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