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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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auch mal mit kleinen oder großen Aufmerksamkeiten verwöhnen müssen, damit sie dort landen, wo Sie eigentlich hinwollen.« Dann stand sie plötzlich auf und ging zu der kleinen Pinwand, an der alle wichtigen Nachrichten hingen. »Apropos telefonieren. Ein Herr hat gestern für Sie angerufen. Sie möchten sich bitte unbedingt bei ihm melden. Es sei dringend, hat er gesagt.« Sie legte den Zettel vor ihn auf den Tisch. »Hier ist seine Nummer.«
    »Und wie hieß dieser Herr?« Michaelis ging in Gedanken schnell eine Liste von Männern durch, die wussten, dass er hier in Lottes Pension wohnte, und die Lotte nicht persönlich kannte.
    »Seinen Namen hat er nicht genannt. Er sei Lehrer und ein alter Schulfreund von Ihnen.«
    Michaelis starrte Lotte an. Ein Lehrer? Wer konnte das sein?
    »Hat er nichts weiter erwähnt?«
    »Nein. Nur, dass Sie ihn anrufen sollen. Er sei auch nicht in Berlin, sondern in Brandenburg, in seiner Datsche.«
    Ah, der gute alte Kurt. Kurt Becher. Sein alter Kumpel aus gemeinsamen Schulzeiten. Aber was konnte der so Dringendes wollen? »Hat er nicht mal etwas angedeutet?«
    Lotte schüttelte den Kopf. »Nein. Er hat nicht gesagt, was er wollte. Aber er klang irgendwie merkwürdig. So, als ginge es ihm nicht gut. Ich glaube, er hat sogar ein wenig geschnauft.«
    Michaelis stand auf und wandte sich zum Flur. Lotte, die wohl glaubte, er würde in sein Zimmer verschwinden, war ihm dabei dicht auf den Fersen. Am Stuhl neben der Tür bremste er ab und angelte aus seiner achtlos hingeworfenen Jacke das Handy. Aus dem Speicher wählte er Kurts Nummer.
    Nichts, nur die Mailbox.
    »Hat er wirklich nichts gesagt?«
    Lotte, die ihn von jeher besser behandelte als die anderen beiden Dauergäste, bekam einen nachdenklichen Zug um ihren Mund. »Das wird doch nichts Schlimmes bedeuten, oder?« Sicherlich machte sie sich mittlerweile Sorgen, denn seit er hier bei ihr wohnte, war sie nahezu den ganzen Tag damit beschäftigt, ihn um jeden Preis vor Schaden zu bewahren. Jedenfalls so gut das eben bei einem wie ihm ging.
    »Wie oft hat er denn angerufen?«, fragte er und ging wieder zum Tisch zurück.
    »Fünf Mal.«
    Gerade, als er etwas lauter werden wollte, fiel sein einäugiger Blick wieder auf das Handy. Es blinkte bläulich, und da fiel ihm ein, dass er es ja gestern, als er auf die Klingel der schönen Frau gedrückt hatte, auf lautlos umgestellt hatte. »Mist«, fluchte er und zappte sich durch das Menü des Telefons. »Bei mir hat er auch fünf Mal angerufen.«

    ***

    In seinem Zimmer zog er sich schnell ein anderes Poloshirt an, nachdem er sich mit einem Deostick den Anschein von Frische gegeben hatte. Dann wählte er die Nummer der Taxizentrale.
    »Michaelis, mein Name. Einen Wagen bitte in die Grabenstraße vor die Theaterklause.« Er gab als Adresse immer die Klause an, die sich im Nachbarhaus befand. Das fanden die Leute leichter. Die Frau in der Taxizentrale wies ihn mit den knappen Worten eines Feldwebels an, möglichst auf dem Bürgersteig zu warten, denn vom Neustädtischen Markt bis in die Grabenstraße sei es ja nur ein Katzensprung und Zeit sei schließlich Geld.
    Dann griff er sich sein Portemonnaie und rannte die Treppen hinunter. Da das Taxi doch nicht so schnell war, nutzte er die nächsten Minuten für einen seiner aromatischen Zigarillos.
    Kurt und er hatten sich nach dem Abitur leider völlig aus den Augen verloren, und erst vor ein paar Jahren mehr durch Zufall den Kontakt wiederhergestellt, der dann vor geraumer Zeit wieder einzuschlafen drohte. Alle Nachfragen hatten in der spärlichen Erklärung gemündet, dass Kurt trotz seiner vielen Termine bestimmt mal wieder die Zeit für ein Treffen finden würde. Vielleicht war dieser Zeitpunkt gestern nun gekommen.
    Trotzdem hatte er ein merkwürdiges Gefühl im Bauch, das er weder benennen, geschweige denn erklären konnte. Dabei freute er sich auf die beiden, auf Kurt und Eva, auf das Wiedersehen nach langer Zeit und auf die Möglichkeit, mit Kurt über Gott und die Welt zu philosophieren.
    Er sah die beiden schon vor sich, wie sie ihn von der Terrasse ihrer Datsche aus anstrahlen würden, wie Eva sich, ähnlich Lotte, die Hände an der Schürze abwischen und wie ihm bei der Umarmung der Duft nach frischem Pflaumenkuchen in die Nase steigen würde, der gewiss noch vom Backen in ihrem Haar haftete.
    Als das Taxi endlich neben ihm hielt, öffnete er die Beifahrertür und stieg ein. »An den Bohnenländer See, nach Butterlake«, sagte er zu
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