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Haus des Glücks

Haus des Glücks

Titel: Haus des Glücks
Autoren: Yvonne Winkler
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du erzählen«, forderte Oma Lotte sie mit leuchtenden Augen auf. »Ich will alles hören. Wie geht es der Familie? Wie sieht es auf Samoa aus? Was habt ihr dort erlebt? Wie hat es euch gefallen?«
    »Es ist traumhaft schön! Das Meer, der Strand, der Regenwald, die Menschen – einfach alles! Es hat uns so gut gefallen, dass wir überlegen, in zwei oder drei Jahren im Sommer mit den Kindern hinzufliegen. Juli und August sind die beste Reisezeit. Allerdings würden wir länger bleiben. Wir haben viel fotografiert«, sagte Julia und lächelte. »Ich habe mein Notebook mitgebracht, damit du dir die Fotos gleich ansehen kannst. Zuerst aber soll ich dich von Victor, John und dem Rest der Familie grüßen.«
    »Wie geht es dem Alten?«
    »Gut. Er ist noch sehr rüstig. Alle sind unglaublich nett. Vor allem Ajona, Victors Tochter. Sie ist so alt wie ich und lebt in Auckland, wird aber bald wieder nach Samoa übersiedeln. Wir mailen uns jeden Tag.« Sie stellte das Notebook auf den Tisch und schaltete es an. »Du kannst sie gleich sehen.«
    Julia rief die Fotos auf – ihre Verwandten, das Hotel inmitten der Palmen, Bilder von der Insel und Bilder von den Schnorchelausflügen, vom Strand. Aber auch die Fotos, die sie nach dem Tsunami gemacht hatten.
    »Das muss schrecklich gewesen sein«, sagte Oma Lotte. »Gottlob, dass euch beiden nichts passiert ist!«
    »Ich habe nie zuvor so viel Angst in meinem Leben gehabt. Ich dachte, gleich ist es aus. Und dass ich Marco nicht wiedersehe. Das war …«
    »Eine heilsame Erfahrung?«
    »Ja, für uns beide. Auch wenn ich gern darauf verzichtet hätte. Ich glaube, durch dieses furchtbare Ereignis haben wir gemerkt, wie viel wir einander bedeuten. Es ist doch gleichgültig, ob ich studiere oder nicht, solange Marco und ich zusammen und wir alle gesund sind.«
    »Tatsächlich?« Oma Lotte lächelte auf eine eigentümliche Art.
    »Das Witzige dabei ist, dass er mir jetzt gesagt hat, er hätte nichts dagegen, wenn ich studiere. Es sei für ihn allein wichtig, dass ich zufrieden bin. Alles andere fände sich von selbst. Gerade hatte ich mich damit abgefunden, Hausfrau zu bleiben. Ist schon merkwürdig, wie das Leben so spielt.«
    »Ist es das?«, Oma Lotte lächelte. »Ich bin eher der Ansicht, dass es ein Phänomen der Freiheit ist. Wenn du den Menschen in deiner Umgebung nicht die Pistole auf die Brust setzt, haben sie nicht die Möglichkeit zu erkennen, dass es keinen Schaden für sie bedeutet, dir einen Herzenswunsch zu erfüllen.«
    »Vielleicht hast du recht.«
    Sie zeigte weitere Fotos.
    »Und wer ist dieser junge Mann?«
    »Das ist David. Der Tauchlehrer.«
Mit Augen, klar, blau und tief wie eine Lagune,
wie Ajona es in einer E-Mail formuliert hatte. Es war erstaunlich, wie ruhig sie mittlerweile seinen Namen aussprechen konnte. Wahrscheinlich lag das an den E-Mails, die sie täglich mit ihrer Cousine austauschte. Gerade heute früh hatte sie geschrieben, dass Davids Genesung gute Fortschritte machte.
»Bald können wir zusammen tauchen. Steve sagt, David interessiert sich nur fürs Tauchen. Das ist mir ganz recht, allerdings mit einer kleinen Änderung. Es muss heißen: David interessiert sich nur fürs Tauchen und Ajona.«
    »Und das ist einer der Wasserfälle im Landesinneren.«
    »Tanugamanono. Da hat Großmutter gewohnt. So sah es dort aus.« Oma Lotte lächelte, doch Julia hatte den Eindruck, dass ihre Augen feucht schimmerten. »Ich hatte schon fast vergessen …« Sie blinzelte, ihre Hände verkrampften sich.
    »Oma, ist alles in Ordnung?«
    »Ja, min Deern«, sagte sie und drückte Julias Hand. »Ich bekomme nur ein bisschen Heimweh.«
    »Warum fliegst du nicht nach Samoa? Du hast doch alle Zeit der Welt, du kannst mehrere Zwischenstopps machen. John und die anderen würden sich freuen.«
    Doch Oma Lotte schüttelte den Kopf. »Das werde ich nicht tun, Julia. Nicht weil ich achtzig bin, das ist kein Grund. Ich bin schließlich gesund. Aber weißt du …« Ihre Augen wanderten hinaus auf die Elbe, und sie seufzte. »Damals hat man mich gegen meinen Willen fortgeschleppt. Mein Vater durfte nicht mit uns in Deutschland einreisen. Man hat mir meinen Namen genommen. Eigentlich heiße ich
Soonalote.
Meine Mutter hat diesen Namen in
Charlotte
umgewandelt, weil das deutscher ist und die Abkürzung wenigstens so ähnlich klingt. Man hat mir verboten, meine Sprache zu sprechen. Ich habe Samoa nie vergessen können. Die Sonne, das Meer, die Wälder, das Geräusch des Windes in
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