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Hauchnah

Hauchnah

Titel: Hauchnah
Autoren: Virna Depaul
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Detective Samuel Carillo hat mir sämtliche Berichte gefaxt. Sie haben mit allen Nachbarn gesprochen, aber anscheinend hat niemand etwas Ungewöhnliches bemerkt. Die meisten Nachbarn sind berufstätig. Hier wohnen nur wenige Familien und Rentner.“
    „Tja, die SIG ist dafür da, sich um die schwierigen Fälle zu kümmern. Gut, dass du mich mitgenommen hast.“
    Mac schnaubte durch die Nase.
    „Du hast gemeint, wir würden höchstens eine Stunde brauchen“, erinnerte Jase ihn. „Ich möchte vor dem Abendessen wieder im Büro sein. Ich bin verabredet und will mich nicht verspäten.“
    Mac zuckte nicht mal mit der Wimper, fragte sich aber unwillkürlich, wer Jases neueste Flamme sein mochte. Seine letzte Freundin war Cheerleader bei einer NFL-Mannschaft gewesen. Die davor war Model. Er mochte hinreißend schöne, sehr feminine und anspruchsvolle Frauen. Die Sorte, die sich so sehr bemühten, den Männern alles recht zu machen, dass sie das selbstständige Denken beinahe verlernt hatte. Da überraschte es nicht, dass Jase zwangsläufig anfing, über die Ansprüche seiner Damen zu murren.
    Irgendwann musste er die Zeche bezahlen.
    Gelegentlich haute auch Mac mal gern auf den Putz, hatte sich aber an sein Leben als Single, unbehindert und schuldenfrei, gewöhnt. Er brauchte sich nicht um Stimmungsschwankungen zu kümmern oder um Bedürfnisse oder Zorn, wenn er seine Arbeit nicht einfach stehen und liegen lassen und nach Hause eilen wollte, damit er nach der Pfeife einer Frau tanzen konnte.
    Jetzt allerdings war Mac erfüllt von erwartungsvoller Spannung, während sie die Veranda erreicht hatten.
    Er konnte es nicht abstreiten. Er war neugierig darauf, ob er wieder dieses elektrisierende Prickeln verspürte, wenn er Natalie Jones persönlich kennenlernte. Doch in erster Linie stand er unter Strom, getrieben von diesem Adrenalinstoß, der ihn immer überkam, wenn er an einem Fall arbeitete und wusste, dass er sich kurz vor einer bedeutsamen Erkenntnis befand.
    Er hob die Hand, um zu klopfen, hielt dann aber stirnrunzelnd inne. Laute Musik mit dumpfem rockigem Bass drang durch die massive Eingangstür, doch er hörte auch noch etwas anderes. Dumpfe Schläge. Gelegentlich ein leises Stöhnen, als hätte jemand Schmerzen. Er kniff die Augen zusammen. Sein Puls beschleunigte sich. Er atmete schneller.
    Trotzdem blieb er besonnen. Ruhig. Er pochte an die Tür und rief: „Hallo? Ms Jones?“
    Die meisten Menschen hassten Sport, doch für Natalie kam das Training auf dem Laufband in der Privatsphäre ihres eigenen Hauses, während sie über die Lautsprecher ihres iPods Musik hörte, ihrer Vorstellung vom Himmel so nahe wie seit mehr als drei Monaten nichts anderes. Aufgrund ihrer Blindheit bestand ihr Himmel in Bewegung und Tempo und Leistung ohne Angst vor Unvorhersehbarem wie zum Beispiel einem Frontalzusammenstoß mit einem Baum oder einer Mauer oder einem Lastwagen. Darüber hinaus, unter dem Aspekt der Vorfälle vom Vortag, bestand der Himmel für sie in Wiederholung und Rhythmus und Kraftanstrengung zur Vertreibung der schieren Angst, die sie plagte, seit dieser Mann in ihr Haus eingedrungen war.
    Ihr Zufluchtsort. Ihr Hafen, der sie vor neugierigen Blicken schützte.
    Zorn wallte bei der Erinnerung in ihr auf, allerdings wetteiferte er mit ihrer nachklingenden Angst. Die Angst siegte. Das war ihr Leben, aber wer konnte ihr es in diesem Fall wohl verdenken?
    Sie konnte ihn immer noch riechen: Schweiß, Kaffee und Verzweiflung und dazu noch etwas anderes.
    Sie spürte immer noch seine Finger, die ihr den Hals zudrückten, zu stark, als dass sie sich hätte befreien können.
    Und sie hörte seine Stimme, zunächst noch verhalten, dann aber immer abgehackter, da sie nicht aufgab und sich weiter wehrte.
    Sie hatte gedacht, sie würde sterben, und zwar ohne das Gesicht ihres Mörders zu sehen.
    Aber sie war nicht gestorben. Sie hatte gekämpft.
    Doch deshalb fühlte sie sich nicht als Siegerin.
    „Hör auf“, ermahnte sie sich leise und ballte die Hände zu Fäusten. Ihr Zorn richtete sich inzwischen gegen sie selbst. Er war nicht noch einmal in ihr Haus und ihr Bewusstsein eingebrochen; sie hatte ihn freiwillig eingelassen.
    Als sie stoßweise zu atmen begann, riet sie sich selbst, sich zu beruhigen. Sie ertastete die kleinen Holzstücke – verschiedenförmige Teile eines Kinderpuzzles -, die sie auf die flachen Bedientasten des Laufbands geklebt hatte, um sie unterscheiden zu können. Sie steigerte ihr Tempo. Sie zwang
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